Polt - die Klassiker in einem Band
Gedanken gekommen, nachzuschauen, was dem Willi passiert ist, um vielleicht helfen zu können?“
„Ich habe mich schön davor gehütet, in seiner Nähe gesehen zu werden. Doch logisch, oder? Und jetzt verschwinden Sie aus meinem Preßhaus. Wenn Sie dann wieder Ihre elegante Uniform anhaben, können Sie sich ja wichtig machen.“
Gapmayr und Polt waren aufgestanden.
„Augenblick noch.“ Polt nahm den Karl Gapmayr an den Rockaufschlägen und ohrfeigte ihn, methodisch, gelassen und mit Nachdruck.
Götterdämmerung
Im angenehmen Bewußtsein, etwas Wesentliches erledigt zu haben, nahm Simon Polt sein Fahrrad und schob es ohne Eile die Burgheimer Kellergasse hoch. Oben, im flachen Land, trat er in die Pedale und bremste erst, als er den Lößabsturz erreicht hatte. Wieder einmal stieg er zum todten Hengst hoch, setzte sich auf Willis Lieblingsplatz und schaute übers Land.
Gegen vier sah Polt von der Grenze her einen einsamen Wanderer kommen. Ein paar Minuten später erkannte er Horst Breitwieser, der dann unterhalb des Lößabsturzes stehenblieb und nach oben schaute. Simon Polt erhob sich und winkte. „Guten Tag, Herr Breitwieser!“
„Sind Sie es, Inspektor Polt?“ klang es von unten herauf. „Ich kann Sie nicht erkennen, meine Augen sind nicht mehr die besten. Aber Ihre Stimme kommt mir bekannt vor.“
„Ich bin’s. Warten Sie einen Augenblick, ich komme hinunter.“ Polt nahm nicht den schmalen Weg, sondern eine Abkürzung über die steile Wiese neben der Lößwand.
„Solche Extratouren sind unsereinem verwehrt.“ Breitwieser machte eine resignierende Handbewegung. „Ich fürchte auch, daß dieser Spaziergang heute keine gute Idee war. Ich bin schrecklich müde von der ungewohnten Stallarbeit. Es wird wohl besser sein, hier umzukehren. Begleiten Sie mich ein Stück Weges, Inspektor?“
„Gern.“ Polt schob sein Fahrrad neben dem alten Herrn her. „Ich möchte mich auch dafür entschuldigen, daß ich noch nicht für Sie die Gutsverwaltung angerufen habe. Es liegen zwei ziemlich turbulente Tage hinter uns.“
Horst Breitwieser schaute den Gendarmen fragend an. „Was war los?“
„Sie haben vielleicht von diesem Todessturz gehört oder gelesen, der hier oben geschehen ist.“
„War das nicht dieser bedauernswerte Behinderte? Willi, oder so?“
„Ganz recht. Und sein Tod war kein Unfall.“
„Was Sie nicht sagen. Und wer tut so einem Menschen etwas an?“
„Ach wissen Sie, Herr Breitwieser, ich habe den Eindruck, daß dieser Mensch für manche nur eine lästige Fliege war.“
„Fatal. Homo hominem lupus est, wie der Lateiner sagt, der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. So ist es wohl. Die Welt ist krank, Inspektor, zum Sterben krank, und nicht nur, was die Menschen betrifft.“
„Wie meinen Sie das?“
„Als wir vor über fünf Jahrzehnten ins Weinviertel gekommen sind, war zwar unsere Heimat zertrümmert, doch das Bauernland lebte. Bunte Vielfalt statt öder Monokulturen und zwischendurch immer wieder Buschgruppen und Bäume. Haben Sie in Ihrem jungen Leben schon einmal einen Weingartenpfirsich gekostet? Nein? Da haben Sie viel versäumt, Herr Inspektor. Und schauen Sie, hier, diese Robinien.“
„Robinien?“
„Akazien, wie man hierzulande nicht ganz korrekt sagt. Wunderschön in ihrer Blüte und ein Fest für die Bienen. Aber dieses Feldgehölz ist ein stiller Mörder. Ein fremdländisches Gewächs, kommt aus Nordamerika. Wo die Robinie an Macht gewinnt, verödet der ursprüngliche heimische Wuchs. So verkommen die Wiesenhänge und Hecken, die Waldränder und die Lichtungen.“
„Das war mir noch nie so bewußt.“ Polt blickte um sich. „Natürlich habe ich als Bub die Landschaft noch aufregender erlebt – und das Dorf. Es ist sehr ruhig geworden hier an der Grenze, nicht wahr?“
„Eine Friedhofsruhe. Die Fleißigen finden keine Beschäftigung, die Klugen keine Möglichkeit, etwas aus ihrer Begabung zu machen. Der Abschaum bleibt, Ballastexistenzen: die dumpfen Säufer und die Parasiten, die Lebensuntüchtigen und die Arbeitsunfähigen.“
„Sie sind wohl ziemlich verbittert, wie?“
„Sagen Sie mir einen Grund, warum ich es nicht sein sollte, Inspektor. Aber ich liebe diese Landschaft. Und in den letzten Jahrzehnten habe ich sie mir Schritt für Schritt vertraut gemacht, als guten Freund sozusagen, in Ermangelung an Menschen.“
„Und die Leute im Dorf?“
„Ich brauche sie nicht. Aber natürlich weiß ich Bescheid. Ich war schon immer ein guter
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