Polt - die Klassiker in einem Band
für den eigenen Durst gereicht.“
„Und jetzt geht es ans Einweihen? Ich kann leider nicht mitkommen. Die Arbeit drängt.“
„Wär mir auch gar nicht recht. Ich will mich erst einmal allein umschauen.“
„Schon gut. Möchtest du eine Flasche Wein mitnehmen?“
„Gedankenleser!“
„War nicht sehr schwierig. Wir nehmen besser einen Roten, da hast du weniger Probleme mit der Temperatur. Gehen wir schnell einmal in den Keller, so viel Zeit hab ich gerade noch.“
Unten angekommen ging Ernst Höllenbauer zielstrebig in einen kleinen Seitengang und kam mit einer Flasche zurück, die offensichtlich schon sehr lange hier unten lag. „Hier, ein St. Laurent 1992.“ Er hielt ihn vorsichtig gegen das Licht. „Scheint in Ordnung zu sein, der alte Knabe.“
Polt betrachtete die Flasche ehrfürchtig. „Das kann ich nicht annehmen, Ernstl.“
„Klar kannst du. Zieh gleich einmal den Korken heraus, wenn du im Preßhaus bist, damit der Wein Sauerstoff bekommt. Und jetzt geh schön feiern.“
Polt ging, aber er ging sehr langsam, weil er auch die Annäherung genießen wollte, Schritt für Schritt. Die durchwegs respektable Steigung der Kellergasse begann schon flacher zu werden, als er linker Hand vor sich ein weißes Mauerstück und ein mit bemoosten Ziegeln gedecktes Dach sah. Seine Mauer, sein Dach.
Ein verwachsener, kaum erkennbarer Weg zweigte vom Asphaltband ab. Nach wenigen Metern erreichte Polt eine kleine Lichtung. Sein Preßhaus stand vor ihm, Gras wuchs bis zur einzigen kleinen Fensteröffnung hinauf und bis zum Schlüsselloch in der Preßhaustür. Vermutlich war sie irgendwann grün gestrichen gewesen, doch nun hatte sie eine merkwürdig hellblaue Farbe angenommen.
Als Polt nähertrat, bemerkte er, daß der Zugang mit großen Steinen gepflastert war. Eine Stirnseite des Gebäudes war mit dem Nachbarpreßhaus verbunden, die andere stand frei, Bäume und Büsche schufen hier einen schattigen, verborgenen Platz, auf dem eine Steinbank stand. Jetzt fiel Polt die Geschichte wieder ein. Vor Jahrzehnten war die Burgheimer Kirche renoviert worden. Ignaz Reiter und sein Freund hatten damals eine der mächtigen, aber schadhaften alten Stufen vom Eingang unter großen Mühen hierher transportiert.
Polt war viel zu ungeduldig, um die Bank auszuprobieren. Er ging wieder zur Preßhaustür, sperrte das Vorhängeschloß und das Türschloß auf, drückte mit der Schulter gegen das Holz und stand dann im Preßhaus. Es war ihm, als sei er in eine große Zauberkiste geraten. Staub und Spinnweben verbanden eine geheimnisvolle Vielfalt von Bildern und Gegenständen, die sich ihm erst nach und nach erschließen würde. Und dann sah er Ignaz Reiters Hut. So, als sei sein Besitzer eben erst gegangen, hing er an einem Nagel, der im Holz der kleinen Weinpresse steckte.
Polt holte die Rotweinflasche, vom Höllenbauern dick in Zeitungspapier eingewickelt, und stellte sie auf einen kleinen, massiv gezimmerten Tisch. In der Lade fand er einen einfachen Korkenzieher. Nachdem er die Flasche geöffnet hatte, ging er nach draußen, wo eine steile, mit halb verfaultem Laub bedeckte Stiege zur Kellertür unter der Preßhausmauer führte. Die Tür war unversperrt, der aus Ziegeln gemauerte Bogen darüber gefährlich eingesunken.
Vorsichtig öffnete Polt einen Türflügel, zündete die mitgebrachte Kerze an und stieg mit unsicheren Schritten nach unten. Der Keller war klein, aber sehr tief. Winzige Fässer lagen hier, in zwei Nischen standen Heiligenfiguren, eine davon ohne Kopf. Auf dem Boden sah der Gendarm ein altertümliches Glas liegen. Er hob es auf und wischte es mit dem Taschentuch leidlich sauber, ging nach oben, holte den Wein aus dem Preßhaus, kehrte in den Keller zurück, goß das Glas voll, kostete, nickte, und trank es in einem Zug leer.
Polt schaute zur Kellerstiege hin. Ein paar Sonnenstrahlen tasteten nach unten und ließen die Spinnweben leuchten. Dort, wo noch ein wenig Licht die Lößwand erhellte, ritzte er mit dem Daumennagel Eigen: Simon Polt in den Löß.
Noch einmal füllte er das Glas, noch einmal trank er.
Dann sah er einen Schatten im hellen Viereck der Kellertür. „Bist du es, Simon?“ Polt erkannte die vertraute Stimme Friedrich Kurzbachers.
„Ja.“
„Dann komm schnell. Jemand hat die Pfarrersköchin umgebracht.“
Das Gift der Tollkirsche
Der Gendarm ließ sein Fahrrad stehen und setzte sich zum Kurzbacher ins Auto. Er atmete schwer und wischte sich fahrig über die Augen. „Hab ich
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