Polt - die Klassiker in einem Band
hinüber, der zuckte mit den Schultern. „Das letzte Mal habe ich ihn vergangenen Sonntag gesehen, am späten Nachmittag.“
„Sehr präzise.“ Kratky warf Simon Polt einen raschen Blick zu. „Wo ist eigentlich Ihre Uniform, Herr Kollege?“
„Ich bin heute nicht im Dienst.“
„Verstehe, aber allzeit bereit.“
Mank räusperte sich. „Der Simon, Inspektor Polt meine ich, kennt die Verhältnisse im Pfarrhaus am besten. Deshalb habe ich ihn holen lassen.“
Alle schauten zur Tür, als ein zaghaftes Klopfzeichen ertönte. Heinz Hafner machte einen zögernden Schritt ins Zimmer. Peter Paratschek war mit ihm gekommen, blieb aber ein paar Schritte zurück. Hafner warf einen scheuen Blick auf die Tote und wandte sich ab. „Kann es sein, daß die Herren mit mir sprechen wollen?“
„Warten Sie draußen“, sagte Kratky, „wir kommen.“ Er trat auf Simon Polt zu. „Den nehmen wir uns beide vor. Es sei denn, Sie weigern sich, in Ihrer Freizeit zu arbeiten.“
„Das ist jetzt auch schon egal.“
Kratky, Polt, Hafner und Paratschek saßen rund um einen kleinen Besprechungstisch, der in der Pfarrkanzlei stand.
„Bevor ich’s vergesse.“ Kratky öffnete seine Aktentasche, kramte darin und zog dann ein Buch hervor. „Ihr Gourmetführer für Wien und Niederösterreich, Herr Hafner. Ich habe ihn immer bei mir, wenn ich unterwegs bin. Sehr nützlich. Aber Sie führen eine verdammt spitze Feder. Ein Wunder, daß Sie noch keine gußeiserne Pfanne auf den Hinterkopf bekommen haben. Und vor einem Amaretto mit Blausäure haben Sie gar keine Angst?“
Hafner lächelte dünn.
Kratky schob das Buch über den Tisch. „Jedenfalls hätte ich gerne eine Widmung von Ihnen, geht das? Adolf Kratky mein Name. Mit fremdem i hinten, für den Vornamen kann ich nichts.“
„Wer schon.“ Hafner zückte eine dicke Füllfeder und schrieb.
„Warum sind Sie eigentlich hier im Pfarrhof?“ fragte Kratky.
„Kraft meiner Beobachtungsgabe und meines messerscharfen Verstandes. Ein Gendarm stand vor der Tür, und ich machte mir ohnedies schon Sorgen wegen Amy.“
„Amy?“
„So wurde die Amalie genannt, als sie noch in Wien gekocht hat, nur in den besten Häusern übrigens. Sie war ein Star, meine Herren, und das schon in jungen Jahren, wirklich erstaunlich. Allerdings ist das über zwanzig Jahre her. Was ist mit ihr geschehen?“
„Sie ist tot, und wir haben die Scherereien. Genaueres wissen wir erst ein paar Stunden später. Wie war übrigens Ihre Beziehung zum Star?“
„Privatsache, Herr Inspektor, ich sagte es schon Ihrem Kollegen gegenüber. Ich war damals noch kein Freßschreiber, sondern ernsthafter Schriftsteller. Soll heißen erfolglos und verschuldet.“
„Und warum haben Sie sich heute Sorgen gemacht?“
„Nicht erst heute. Seit Sonntag, um es genau zu sagen. Ich habe Amy schon vor vielen Jahren aus den Augen verloren und kaum noch an sie gedacht. Doch als ich sie dann wiedersah – was treibt eine begnadete und erfolgreiche Köchin dazu, sich in einem Pfarrhof zu verkriechen? Noch dazu in dieser gottverlassenen Gegend? Da muß etwas Einschneidendes passiert sein in ihrem Leben, etwas, vor dem sie so sehr Angst hat, daß sie sich versteckt.“
Polt schaute auf. „Und dann erschrickt sie fast zu Tode bei Ihrem Anblick.“
„Ihr ist wohl klar geworden, daß ihre Flucht aus der Öffentlichkeit in diesem Augenblick beendet war.“
„Und die anschließende Bemerkung, Herr Hafner? Ich rede von Ihrem angeblich schlechten Charakter.“
„Das war wohl ein Wort zuviel in der Aufregung.“ Hafner grübelte. „Ich war einmal richtig gemein zu ihr. Absichtlich. Genügt das fürs erste?“
Inspektor Kratky betrachtete aufmerksam die Widmung im Gourmetführer, klappte das Buch zu und steckte es in die Aktentasche. „Selbstverständlich genügt das, Herr Hafner. Heute drängt die Zeit, aber wir werden noch ausführlicher miteinander zu reden haben.“
Hafner neigte höflich den Kopf. „Der restliche Tag gehört also mir und meinen zweifelhaften Vergnügungen?“
„Ja. Wir danken für Ihre Offenheit.“
„Offenheit? Wenn Sie das so sehen …“ Er gab Peter Paratschek einen Wink. „Komm, Burschi! Adieu!“
Kratky wartete, bis er den Motor von Hafners Auto hörte. „Mit diesem Herrn werden wir noch unsere Freude haben, Herr Kollege Polt. Redet viel und verschweigt um so mehr … Sehen wir einander morgen? Ich bin gegen zehn Uhr im Wachzimmer. Dann kennen wir auch schon die Ergebnisse der Obduktion und
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