Polt - die Klassiker in einem Band
recht passabler Autofahrer.“
„Wie schnell sind Sie gefahren?“
„Langsam. Aber exakt kann ich es nicht sagen. Der Tachometer funktioniert schon lange nicht mehr.“
„Haben Sie den Mopedfahrer gekannt?“
„Nur vom Sehen. Meine Frau und ich führen auf dem Gutshof ein abgeschiedenes Leben. Mit den Leuten in Brunndorf und Burgheim habe ich wenig Kontakt. Was geschieht jetzt mit mir?“
„Nicht viel. Um einen Alkotest kommen wir natürlich nicht herum. Ich brauche Ihre Daten und die Autopapiere. Und dann bitte ich Sie vorerst nur noch, Ihre Aussage zu unterschreiben. Der Gerichtsmediziner wird wohl das Unfallopfer sehen wollen, und Ihr Auto bleibt hier, für die erkennungsdienstliche Untersuchung. Wie fühlen Sie sich denn? Soll ich Sie nach Hause bringen?“
„Danke, nein. Ich bin ein passionierter Spaziergänger und lege zu Fuß weite Strecken zurück. Und über seelische Probleme hilft man sich in meiner Generation mit Disziplin hinweg.“
Lageskizze Burgheim-Brunndorf mit Kellergassen und Runhof
„Wie Sie meinen. Sie wohnen im Runhof, nicht wahr?“
„Ja, dicht an der Grenze nach drüben. Sie brauchen nur dem Güterweg von Brunndorf aus nach Norden zu folgen.“
„Und Sie halten sich die nächste Zeit für mich zur Verfügung?“
„Was sollte ich sonst tun? Ich bin am Runhof gestrandet. Meine Ziele liegen alle hinter mir.“
Eine gute Stunde später saßen Polt und Holzer einander wieder in der Dienststelle gegenüber.
„Armer Teufel!“ sagte Polt.
Holzer schaute irritiert von seiner Schreibarbeit hoch. „Du meinst doch nicht den Riebl?“
„Nein, nicht wirklich. Natürlich den alten Herrn. Du weißt genausogut wie ich, was da gelaufen ist, in den letzten Jahren.“
„Und ob. Rudi Riebl, der Unfallprofi. Es war immer das gleiche Muster. Er spionierte einen Betrunkenen aus, der in sein Auto stieg, und schmiß sich ihm ein paar Minuten später geschickt vor die Räder. Mehr als blaue Flecken oder Prellungen hat sich der raffinierte Kerl nie geholt, da gehe ich jede Wette ein. Aber im Eintreiben von überhöhtem Schmerzensgeld war er Weltmeister.“
„Genau.“ Polt nickte. „Und damit erschöpft sich unser offizieller Wissensstand. Daß er auch als Erpresser recht erfolgreich war, pfeifen allerdings die Spatzen von den Dächern. Noch bevor die Polizei eintraf, hat er vermutlich dem Autofahrer klargemacht, daß er mit sich reden lassen könnte. Dann steckte er einen schönen Batzen Bestechungsgeld ein. Vor der Polizei gab er aber trotzdem nicht zu, den Unfall mitverursacht zu haben. Kein Lenker wagte etwas zu sagen, und der Riebl hat doppelt kassiert.“
Unwirsch zog Holzer einen Bogen Papier aus der Schreibmaschine. „Keine Zierde für die Menschheit, der Riebl. Auch wenn er diesmal Pech gehabt hat.“
„Aber für den Herrn Breitwieser wird’s eng. Der einzige Zeuge, den wir bislang haben, ist Christian Wolfinger. Und der hat nichts gesehen, was den Unglückslenker entlasten könnte.“
Holzer griff nach der Zigarettenschachtel. „Aber der Riebl Rudi hatte vielleicht auch getrunken.“
„Wir werden’s erfahren. Der Gerichtsmediziner nimmt ihn sich in der Aufbahrungshalle von Brunndorf vor, unser Herr Dienststellenleiter ist dabei.“
„Wo er doch keine Obduktionen mag.“ Holzer paffte.
„Wer wird denn so empfindlich sein.“ Simon Polt stand auf und öffnete das Fenster weit, weil ihn der Zigarettenrauch störte.
Der todte Hengst
Nach dem Sonnenuntergang war es kühl geworden. Es gab kaum Menschen auf der Straße, nur ab und zu verdrängte ein Auto die Stille. Polts Dienststelle war in einem jener großen Häuser aus dem späten 19. Jahrhundert untergebracht, die bewiesen, daß Burgheim einmal bessere Zeiten gesehen hatte. Doch schon mit dem Ende der Monarchie war das Städtchen in eine sehr stille Ecke des klein gewordenen Staates geraten, und nach dem Zweiten Weltkrieg sorgte die tote Grenze für lähmende Lethargie. Der Burgheimer Wein, einst weithin gerühmt, besonders der Blaue Portugieser, hatte seinen Ruf verspielt, und alle Versuche, Industriebetriebe anzusiedeln, waren gescheitert. Doch seit einiger Zeit ging es ein wenig aufwärts in Burgheim und in den Dörfern des Wiesbachtales. Neu belebtes Brauchtum lockte Besucher in die Kellergassen und weckte das Interesse am Wein, der überdies zu erfreulich moderaten Preisen zu haben war.
Natürlich hatte auch die nunmehr offene Grenze Veränderungen gebracht, die letztlich für alle von Vorteil sein würden,
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