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Polt muss weinen

Polt muss weinen

Titel: Polt muss weinen
Autoren: Alfred Komarek
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auskosten, drängte er seine Gäste zu sogenannten Rollenspielen. Swoboda mußte zum Beispiel einmal in die Rolle seiner Ehefrau schlüpfen (die übrigens bei solchen Abenden nie dabei war) und über ihre frustrierenden Erfahrungen beim ehelichen Geschlechtsverkehr berichten. Für jede schmutzige oder peinliche Einzelheit, die er nicht deutlich genug beschrieb, gab’s ein Glas Wein, aber nicht zum Trinken, sondern ins Gesicht geschüttet. Für Dipl.-Ing. Pahlen war häufig die Rolle eines Dorftrottels vorgesehen, der erklären mußte, wie man ein Haus baut. Bei jedem Satz, der nicht idiotisch genug geriet, wurde ihm ein Kleidungsstück ausgezogen, bis er völlig nackt war. Irgendwann kam dann Bartls großer Auftritt. Erst durfte er aus seiner wirren Welt erzählen, und alle lachten sehr darüber. Aber später, wenn er nicht mehr stehen konnte, kam ein Spiel an die Reihe, das Kameradschaftsbund hieß. Sie haben Bartl auf die Beine gestellt und ihm einen kräftigen Stoß in den Rücken versetzt, damit er ein paar Schritte halb rannte, halb taumelte und dann auf denkbar groteske Weise unter allgemeinem Applaus niederbrach. Kriegerdenkmal hat ihn mein Mann in dieser Stellung genannt, trat vor ihn und hielt eine höhnisch-feierliche Rede über das Heldenschicksal Gefallener. Aber es ist noch weiter gegangen.«
    »Ich denke, es reicht.« Simon Polt verabschiedete sich rasch. Er dachte daran, wie am Ende Hahns Gäste in ihrem Rausch dalagen, sich übergaben, wie sie irgendwann am nächsten Tag erwachten, in einem erbärmlichen Zustand, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, und unerträglich beschmutzt. Der Gendarm beeilte sich auf dem Rückweg nach Burgheim, nahm beim Kirchenwirt Zuflucht und bestellte ein großes Glas Mineralwasser, das er in einem Zug austrank.
     
    Der heilige Martin und andere aufrechte Männer
     
    Simon Polt ruhte seit vielen Tagen wieder einmal heiter und entspannt in sich selbst. Er hatte im Gasthaus Stelzer eine beachtliche Portion Martinigans von heiligmäßigem Wohlgeschmack verzehrt, und jetzt saß er dem Friedrich Kurzbacher gegenüber und verdaute. Draußen war es dunkel. Schon gegen vier hatte es an diesem trüben Novembertag gedämmert.
    »Gut geht’s uns, was?« Polts Freund streckte behaglich die Beine unter dem Tisch aus und drehte das gefüllte Weinglas in seiner Hand. »Mir ist es im Grunde immer gutgegangen. Nur Geld war halt nie eins im Haus.«
    Polt nickte langsam. »Was machen eigentlich deine Kinder?«
    »Die Gerda hat nach Wien geheiratet, weißt du ja. Zwei Töchter, ein großes Auto, kann gar nicht besser sein. Und der Erich ist in Breitenfeld bei einer Versicherung. An der Landwirtschaft hat er kein Interesse.«
    »Und was wird aus dem Hof und dem Preßhaus, wenn du einmal nicht mehr bist, Friedrich?«
    »Die Kinder werden verkaufen. Da hat jeder was davon.«
    Wieder ein sterbendes Bauerngut mehr, dachte Polt betrübt und wechselte das Thema. »Was ist denn im Extrazimmer los?«
    »Der Fußballverein hat seine Generalversammlung.«
    »So ist das also«, brummte Polt. »Und mich hat natürlich wieder einmal keiner eingeladen, obwohl ich Mitglied bin.«
    »Dich übersieht man eben leicht«, stichelte der Kurzbacher.
    »Er war schon als Säugling so unscheinbar«, ließ sich vom Nebentisch her der Gemeindearzt vernehmen. »Dick und ziemlich häßlich, sonst nichts.«
    »Da sieht man wieder, wie bei älteren Männern das Gedächtnis nachläßt«, sagte Polt gutmütig.
    Der Herr Doktor nickte nur und gönnte sich jenes hinterhältige Grinsen, mit dem er üblicherweise die Behauptung kränkelnder Weinbauern quittierte, mehr als drei, vier, allerhöchstens fünf Achtel kämen pro Tag bestimmt nicht zusammen. Dann schaute er zur Tür, die neben dem Kücheneingang in den Hof und zum Extrazimmer führte, weil soeben die Funktionäre des FC Brunndorf eintraten. Noch unter dem Eindruck jener bedeutsamen Entscheidungen, die sie soeben kraft ihrer Ämter gefällt hatten, drängten sie an die Schänk, um bei ein paar Gläsern nunmehr formlos zu bereden, was vordem förmlich besprochen worden war.
    Karl Brunner und Christian Wolfinger setzten sich zu Polt und Kurzbacher an den Tisch, während Josef Schachinger nach einem schnellen Seitenblick auf den Gendarmen neben dem Gemeindearzt Platz nahm. »Und?« fragte dieser, »haben wir einen neuen Präsidenten?«
    »Wozu denn?« Schachinger spielte nervös mit einem Bierdeckel. »Unser alter wird von Jahr zu Jahr besser.«
    »Jaja, der Berger
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