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Polt muss weinen

Polt muss weinen

Titel: Polt muss weinen
Autoren: Alfred Komarek
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»Halleluja.«
    »Ist alles in Ordnung?« fragte Polt rasch.
    »In Ordnung? Im Himmel ist nichts in Ordnung. Da singen die Engel.« Bartl hatte sich aufgesetzt. Sein graues Gesicht war stoppelbärtig, die Augen waren dunkelrot, aber von einer kindlichen Heiterkeit erfüllt.
    »Ob der Herr Hahn wohl auch mitsingt?« Der Gendarm trat langsam näher.
    »O nein!« Bartl hob belehrend einen unglaublich schmutzigen Zeigefinger: »Der gibt den Takt an, und gibt den Takt an, und gibt den Takt an.«
    Polt sagte vorerst nichts und schaute sich um. Außer dem Matratzenstapel gab es kein bemerkenswertes Möbelstück in Bartls Behausung. Die Wände waren mit Zeitungspapier tapeziert, und zwar ausschließlich mit jenen Seiten, auf denen ein halbnacktes Mädchen mit leerem Blick und großen Brüsten zu sehen war. Da war auch ein kleines Regalbrett, auf dem ein schmieriges Weinglas und ein verbeulter Aluminiumbecher standen. Ein leichter Geruch von Fäulnis, Schweiß und Urin hing in der Luft.
    Allmählich gewöhnten sich Polts Augen an die Dunkelheit, und er sah in einer Ecke neben dem Bett einen alten Radioapparat stehen. »Wie funktioniert denn der, ohne Strom?« fragte er und trat darauf zu.
    »Nur ganz leise«, flüsterte Bartl.
    »Hast du Hunger, Bruno? Soll ich was holen?«
    Bartl schüttelte wortlos den Kopf.
    »Oder Durst?« Polt zeigte seine Weinflasche her. Im nächsten Augenblick wurde sie ihm aus der Hand gerissen.
    Hastig suchte Bartl unter den Matratzen, holte einen Korkenzieher hervor, öffnete die Flasche, hob sie zum Mund und setzte sie erst nach einer guten Weile ab. Er atmete tief, schüttelte den Kopf, fuhr sich über die Augen, und sein Gesicht bekam allmählich jenen Ausdruck, der Polt vertraut war. Dann war Erstaunen darin zu lesen. »Was tun denn Sie hier, Herr Inspektor?«
    »Ich hätte dich gerne etwas gefragt.«
    »Und wenn ich keine Antwort weiß?«
    »Kann ich auch nichts machen. Ist ja nicht gar so wichtig. Wie war es denn so, wenn du bei dem Herrn Hahn warst?«
    »War ich dort?« fragte Bartl nachdenklich.
    »Freilich. Ganze Nächte lang. Man hat dich geholt und heimgebracht, nicht wahr?«
    Bartl tat einen tiefen Schluck. »Ich war als Gast gebeten«, sagte er mit gespreizter Förmlichkeit.
    »Und dann?«
    »Dann habe ich meine gelben Kühe tanzen lassen, von meinen Feuerhunden habe ich erzählt, die kleine Kinder und Jungfrauen fressen, und von den nackten Elfen im Aluminiumhäf erl.«
    »Und man hat dir zu trinken gegeben?«
    »Zu trinken? Immer und immer wieder, bis ich endlos gefallen bin, bis in den Himmel mit den feuerspeienden Engeln und dem lieben Gott mit der meterlangen Zunge, die der Heilige Geist ist.«
    »Und die anderen?«
    »Die haben gelacht. Und wie sie gelacht haben.« Bartl ahmte ein wieherndes Gelächter nach, das immer lauter wurde, bis plötzlich Tränen über seine Backen rannen und helle Spuren in den Grind zogen. Dann wurde aus dem Gelächter ein grelles Schluchzen.
    Polt lief es kalt über den Rücken. »Laß gut sein«, sagte er freundlich und griff nach Bartls Schulter. Der aber packte Polts Hand mit einer zornigen, unglaublich kraftvollen Bewegung und biß so heftig hinein, daß er eine blutende Wunde verursachte. Polt schrie auf, verbiß sich dann den Schmerz, sagte: »Armer Teufel« und ging, während er sein Taschentuch auf die Wunde preßte.
    Er fuhr auf kürzestem Weg nach Brunndorf und besuchte Grete Hahn. »Ich fürchte, Sie müssen mir doch noch ein wenig mehr von den nächtlichen Festen Ihres Mannes erzählen.«
    Frau Hahn hörte nicht richtig hin. »Was ist denn mit Ihrer Hand los? Lassen Sie sehen. Mein Gott! Sind Sie gebissen worden?«
    »Ja, vom Herrn Bartl«, sagte Polt und mußte grinsen.
    »Da gibt es nichts zu grinsen.« Grete Hahn lief aus der Küche und kam mit einer Flasche Jodtinktur und mit Wundpflaster zurück. »So, das haben wir gleich.«
    Als die Hand des Gendarmen versorgt war, setzte sich Frau Hahn, schaute Polt ins Gesicht, dachte ein wenig nach und erzählte dann: »Irgendwie hatte mein Mann seine sogenannten Freunde in der Hand. Sie kamen ohne Widerrede, wenn er sie einlud, und sie tranken, wenn er sie dazu aufforderte, auch wenn sie mehr als genug hatten. Mit Bartl war das anders. Der hat gesoffen, weil das für ihn die höchste Seligkeit war, und die anderen hatten ihren Spaß, weil es immer einen gab, der noch betrunkener war als sie. Kurz bevor dann keiner mehr reden konnte, mein Mann natürlich ausgenommen, der wollte seinen Spaß ja
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