Polt.
dicht vor seine Augen, warf die Zeitung auf den Tisch, nahm das volle Glas, schmiss es an die Wand, stand auf, kippte den Tisch um und reckte beide Hände, zu Fäusten geballt, nach oben. »Heureka!« schrie Rudi Weinwurm und übergab sich.
Späte Stunde
Simon Polt packte den ehemaligen Gendarmen am Rockkragen. »Das reicht jetzt, Rudi. Was hast denn auf einmal?«
»Kannst loslassen, Simon. Gibst mir einen Fetzen? Dann wisch ich auf.« Rudi Weinwurm wirkte merkwürdig nüchtern. Er tat seine Arbeit, Polt stellte den Tisch auf die Beine und rückte die Sessel zurecht. »Also, was war?«
»Nichts, oder alles. Wer weiß. Kommst mit mir nach Hause, alter Freund und Nussknacker? Mir ist nach Reden.«
»Mir aber nicht.«
»Bitte!«
»Meinetwegen…«
»Weißt du noch, Simon, wie wir dem Schuster Herbert den Führerschein zupfen wollten, an diesem heißen Augusttag damals?«
»Kann mich erinnern.«
»B’soffen war er wie immer, aber blasen hat er nicht wollen, weil er angeblich so schwer lungenkrank war. Also Blutabnahme. Der Gemeindearzt wollt den Alkohol nicht bestimmen, und dass wir die Probe gekühlt nach Breitenfeld ins Spital bringen, war uns zu blöd. Ist er halt weitergefahren, der Herbert. Das waren Zeiten!«
»Schon gut.« Simon Polt schaute sich um. Eigentlich hatte er ein verwahrlostes Zimmer erwartet: gebrauchte Wäsche, dreckiges Geschirr, Gerumpel. Aber Rudi Weinwurm residierte in seinem umgebauten Presshaus zwar beengt, aber durchaus ordentlich und sauber. Polt sah einen kleinen Küchenblock, eine Duschkabine und vor allem ein französisches Bett mit einer Zierdecke, auf der zahlreiche Polster lagen. Rudi Weinwurm folgte seinem Blick. »Da schaut er, der Herr Gendarm, wie? Und soll ich dir was verraten, Simon? Das Gewand ist dreckig, aber die Unterwasch ist sauber.« Er starrte ins Leere. »Ist wie bei einer Zwiebel, weißt? Irgendwann ist die äußerste Schale schäbig worden, der Beruf, verstehst? Und dann war sie weg, die Schale. Später war dann irgendwann das Hirn hin von der Sauferei, dann der Charakter, dann die Achtung vor mir selber. Aber eine Zwiebelschale hab ich noch.« Weinwurm wies mit umfassender Gebärde in die Runde: »Zu Hause wird nicht gesoffen.« Er lachte. »Drum sauf ich mich ja anderswo nieder, damit ich’s aushalt. Und ich wasch mich. Ich wasch mich!«
Simon Polt konnte sich nicht daran erinnern, von Rudi Weinwurm in den letzten Jahren derart viele zusammenhängende Sätze gehört zu haben. Vielleicht hat er sich nüchtern getrunken, soll’s ja geben, überlegte Polt und beschloss, die Gunst der Stunde zu nutzen. »Du, Rudi! Der Tote im Weingarten sagt dir der was?«
Weinwurm schwieg und machte schmale Augen, als wolle er bedrohlich dreinschauen. Dann griff er nach Polts Knie. »Wenn einmal ans Licht kommt, was ich weiß, wird’s finster, Simon. Sodom und Gomorrha, wenn dir das was sagt. Eine biblische Sauerei. Der Norbert Sailer ist dein Freund, was?«
»Ja.«
»Ein armes Schwein. Die Birgit auch, die Birgit auch…« Weinwurm griff sich zwischen die Beine. »Saubartel!«
»Ich hör ja schon auf. Soll alles gut ausgehen, nicht wahr, für alle!« Er wischte sich über die Augen. »Man hat ja ein Mitgefühl als Mensch.«
»Und vorhin, im Wirtshaus?«
»Hat irgendwie der Blitz eing’schlagen. Ich hab’s richtig gerochen, das verbrannte Fleisch, und weh hat es getan, verdammt weh. Herrlich war das, g’spürt hab ich mich wieder einmal. Einen Rudi Weinwurm haut ein Donnerwetter nicht um, im Gegenteil. Und jetzt zeig ich dir was.« Er stand auf, kramte in einer Schublade und kam mit einem Blatt Papier zurück. »Ein Brief an die Polizeidirektion. Tausendmal umgeschrieben, ergänzt und verbessert. Reines Dynamit, sag ich dir, Simon, wenn das hochgeht, ist alles hin. Aber ich bin wieder wer.«
»Lass sehen!« Polt betrachtete das wirre Dokument aufmerksam und erschrak. »Ist fast zu kompliziert für mich. Sag, könnt ich den Brief haben, bis morgen? Vielleicht komm ich beim gründlichen Durchlesen auf die eine oder andere Idee, das kannst du dann auch noch hineinschreiben.«
Weinwurm streckte ihm zögernd das Blatt entgegen. »Meinetwegen. Aber: Geheime Kommandosache, Simon, geheime Kommandosache!«
Gegen ein Uhr früh kam Polt nach Hause. Er war dankbar für seine Müdigkeit, die ihm weiteres Grübeln ersparte und ihn bald einschlafen ließ. Doch gleich nach dem Aufwachen war die Unruhe wieder da. Polt telefonierte mit Norbert Sailer und fragte, ob er
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