Polt.
ihn besuchen könne, obwohl es Sonntag sei und noch sehr früh. Aber es könnte dringend sein, und spätestens um zehn müsse er ja den Kirchenwirt aufsperren.
Er wurde freundlich zum Frühstück eingeladen und machte sich unverzüglich auf den Weg.
Als er in die Küche kam, war Birgit allein. Sie deckte den Tisch. »Guten Morgen, Simon! Du gehst es aber zeitig an!«
»Was bleibt mir anderes übrig? Wo ist dein notwendiges Übel?«
»Mein was? Ach so, du meinst den Vortrag gestern. Der Norbert macht schnell noch eine Laufrunde. Tut er fast jeden Tag. Aber er müsste bald da sein. Kaffee oder Tee?«
»Kaffee.«
»Müd schaust drein, Simon.«
»Der Rudi Weinwurm hat zuerst im Wirtshaus randaliert und mich dann zu sich nach Hause verschleppt.«
»So, der…«
»Es ist zum Verzweifeln mit diesem Menschen. Ein guter Kern, und was ist aus ihm geworden.«
»Ja… Steht alles bereit, Simon, ich muss jetzt weg. Sonntäglicher Frühschoppen der Dorfbäuerinnen. Was die Männer können, können wir auch.«
»Aber doch nicht im Kirchenwirt? Der sperrt erst um zehn auf.«
»Nein, beim Pfarrer. Da können wir nachher gleich beichten, was wir vorher gesündigt haben. Bis bald hoffentlich. Tschüss!«
»Das sagst mir nicht mehr, Birgit!«
»Was?«
»Tschüss!«
»Ja, das verdammte Fernsehen. Aber ich wird mich bessern, Simon, wenigstens in dieser Hinsicht.«
Ungeduldig wartete Polt. Jetzt erst fiel ihm auf, dass diese Küche hier so gar nichts mit anderen Küchen in Wiesbachtaler Bauernhäusern zu tun hatte. Eine Wandfläche war mit modernen, offenbar sehr zweckmäßigen Elementen verbaut, schwarze und weiße Flächen bestimmten das Bild. Am Fenster standen Tisch und Sessel aus hellem Naturholz. Ein paar Zeitschriften lagen da, allerdings nicht Der Bauerbündler oder Frau mit Herz, sondern großformatige Magazine, mit denen Polt nichts anfangen konnte, und das Illustrierte Heimatblatt. Dann bemerkte er den Wandkalender - es musste sich um jenen Jungbäuerinnenkalender handeln, der neulich Gesprächsthema zweier sittlich entrüsteter Kundinnen in Frau Aloisias Kaufhaus gewesen war. Polt fasste interessiert das Blatt für den Februar ins Auge: auf einem Sack, der offenbar hölzernes Heizmaterial enthielt, saß eine dunkelhaarige Jungbäuerin und blickte lockend, wenn auch ein wenig verlegen, in ein ihr unbekanntes Publikum. Dabei pflegte sie einen eigenwilligen Bekleidungsstil: Nackte Beine, schwarzes Höschen, weißes Leibchen und einen breiten, rustikalen Hosenträger, der von ihren nackten Schultern gerutscht war. Auf dem Kopf trug die Schöne einen ganz und gar biederen Trachtenhut und hinter ihrem Rücken schauten voll ländlicher Unschuld und Fruchtbarkeit einige Getreidehalme hervor.
»Und, Simon? Gefällt sie dir?« Norbert Sailer stand im Jogginganzug in der Tür. »Irgendwie schon.«
»Im Schlafzimmer hängt der Jungbauernkalender, das männliche Gegenstück, damit auch die Birgit was vom Leben hat. Was führt dich zu mir um diese nachtschlafende Zeit, mein Freund?«
»Das sag ich dir erst, wenn ich meiner Sache sicher bin. Hast du noch die Fotokopie von dieser Eintragung im Notizbuch?«
»So etwas verkommt bei mir nicht. Ich bring’s dir!«
Bald darauf verglich Polt die Schriftzüge von Rudi Weinwurms Brief mit jenen im Notizbuch. Es gab Unterschiede, aber ganz ohne Zweifel eine grundlegende Übereinstimmung. »Oh, verdammt.« Polt schaute Norbert Sailer, der geduldig abgewartet hatte, ins Gesicht. Er reichte ihm beide Blätter. »Sag du: Hat das ein und dieselbe Person geschrieben?«
Der Polizist ließ sich Zeit. Auf seiner Stirn war jetzt eine senkrechte Falte. »Ich bin kein Graphologe, aber es gibt fast keinen Zweifel an der Übereinstimmung. Die Schrift im Notizbuch ist allerdings unruhiger, irgendwie verzerrt, so als wäre der Schreiber betrunken gewesen. Woher hast du den Brief, Simon?«
»Das muss aber wirklich unter uns bleiben: vom Weinwurm Rudi.«
»Um Gottes Willen! Diesem Unglücksraben traue ich alles zu, nur nichts wirklich Schlechtes.«
»So geht es mir auch. Aber was bringt ihn auf die Idee, eure Namen und die Telefonnummer in dieses Notizbuch zu schreiben?«
»Was oder wer muss die Frage lauten, Simon. Vielleicht ist er dazu gezwungen oder dazu überredet worden?«
»Und wer sollte so was tun?«
»Ja, wer? Ich war noch selten so ratlos. Und dass es ein läppischer Versuch gewesen sein könnte, mir etwas in die Schuhe zu schieben, kann ich mit hoher Wahrscheinlichkeit
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