Polt.
dieser Vortrag der Dorfbäuerinnen auf unser Eheleben hat. Abend, die Herren!«
Sepp Räuschl schaute ihm nach. »Ein Siebeng’scheiter! So sind s’ halt, die Jungen. Gut, dass mich das alles nichts angeht und dich auch nicht, Simon.«
Erst gegen elf konnte Polt schön langsam ans Zusperren denken. Die beiden anderen Drittel-Wirte hatten sich als recht sesshafte Gäste erwiesen, die bedächtig und ausführlich dafür sorgten, dass den kriminalistischen Erörterungen Sailers wirklich wichtige Themen folgten: Der Brunner Hans, gute siebzig und nach allgemeiner Überzeugung eine männliche Jungfrau, war an der Burgheimer Bushaltestelle mit einer um vieles jüngeren Tschechin ins Gespräch gekommen, die er ein paar Minuten später für eine eheähnliche Beziehung zu sich nach Hause genommen hatte. Der Bürgermeister von Brunndorf war hingegen in die lokalen Schlagzeilen geraten, weil er angemerkt hatte, Sitzungen des Gemeinderates fänden besser früh am Vormittag statt, weil dann noch eine gewissen Nüchternheit der Mandatare gewährleistet sei. Und dann kam natürlich auch der Dauerbrenner auf den Tisch: Ein Baumeister aus Burgheim, gedrängt, sich zwischen seiner herrschsüchtigen Ehefrau und der nicht minder dominanten Freundin zu entscheiden, war den dritten Weg gegangen und nun schon seit einigen Wochen unbekannten Aufenthalts. Irgendwann waren auch diese Themen aufgebraucht, und Sepp und Friedrich verließen den Kirchenwirt.
Polt war bereits im Gehen, als der Weinwurm Rudi unsicheren Schrittes durch die Tür kam. Er schlingerte auf den nächstbesten Tisch zu und ließ sich umständlich nieder. Polt trat zögernd an ihn heran. »Wie immer, Rudi?«
Der späte Gast versuchte sich an einer theatralischen Handbewegung, die auf halbem Weg erstarb. Polt stellte ihm ein Achtelglas Kirsch-Rum hin. »Du bringst dich um mit dem Zeug.«
»C’est la vie!« Weinwurm trank, grinste und griff nach dem Illustrierten Heimatblatt.
»Das ist von der Vorwoche, Rudi. Die neue Ausgabe liegt bei mir zu Haus!«
»Egal, die hab ich auch noch nicht studiert. Komm kaum noch zum Lesen. Zu viel um die Ohren.«
Dann setzte Weinwurm eine interessierte Miene auf, die nichts zu bedeuten hatte, wie Polt wusste. Der Rudi schaute zwar in die Zeitung, aber er las nicht. Alles an diesem Menschen war nur noch Pose: Seine Kleidung, helles Sakko, dunkle Hose, offenes Hemd, sollte nachlässig elegant wirken, doch er hatte sie seit Wochen nicht mehr gewechselt. Auch volltrunken standen Weinwurm ein paar originell sein wollende Stehsätze zur Verfügung, doch ihre Anzahl wurde zunehmend geringer. Das alles war schmerzlich für Polt. Rudi Weinwurm war nämlich dereinst Gendarm gewesen, ein guter Gendarm, und ein noch besserer Kollege. Der Umstand, dass er trank, wirkte sich lange Zeit nicht auf seine berufliche Tätigkeit aus. Später kam es aber doch zu vermehrten Fehlleistungen. Eines Tages dann hatte sich der Rudi nachts in der Dienststelle unter nie ganz geklärten Umständen mit der Dienstwaffe die rechte große Zehe abgeschossen. Damit war seine Laufbahn in der Gendarmerie beendet gewesen. Seitdem spielte Rudi Weinwurm den Bruder Lustig, doch er spielte seine Rolle lächerlich schlecht und von Mal zu Mal noch schlechter. Zwischendurch, immer seltener allerdings, raffte er sich zu Gelegenheitsarbeiten auf. Viel weniger Überwindung kostete es ihn, seine ehemaligen Kollegen aus der Gendarmerie an ihre, wie er es nannte, Solidaritätspflicht zu erinnern. Auch dafür konnte Polt ein gewisses Verständnis aufbringen, und er nahm es als selbstverständlich hin, dass Weinwurm seine Zeche auch diesmal nicht bezahlen würde. Viel mehr bedrückte es ihn, dass der ehemalige Gendarm in letzter Zeit kleine Betrügereien begangen hatte und, schlimmer noch, Informationen aus seiner aktiven Dienstzeit erstaunlich geschickt für Erpressungen nutzte. Die geforderten Beträge waren recht gering, und keines der Opfer dachte daran, sich wegen zwanzig, dreißig Euro Unannehmlichkeiten einzuhandeln. Aber alles in allem war Rudi Weinwurm auf dem besten Wege, sich vom Säufer, den niemand so richtig im Stich lassen wollte, zum allseits verachteten Kleinkriminellen zu entwickeln.
Auf eine gezierte Handbewegung hin servierte ihm Polt ein zweites Glas. »Das letzte für heute, aber wirklich!«
»C’est la vie.« Weinwurm fand es nunmehr angebracht umzublättern, stierte eine Weile in die Zeitung, ließ sie dann aber sinken. Er hob sie wieder an, hielt das Papier
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