Polt.
Primi trat näher. »Wie Sie sehen, bin ich wieder gewillt, Ihnen entgegenzukommen.«
»Wollen S’ was trinken?«
»Ja, doch. Mineralwasser, leider. Oder vielleicht Tee, wenn’s nicht zu viel Mühe macht.«
»Russisch oder Früchte?«
»Schwarz bitte, ohne Zucker. Überhaupt ohne alles. Sie kochen ja nicht, wie? Bin noch nicht zum Essen gekommen heute.«
»Ich auch nicht. Würstel könnt ich uns heiß machen, Frankfurter.«
»Sie sind ein Schatz!«
»Gemütlich haben Sie’s hier.« Primi aß begierig. »Jetzt wird ich unverschämt: Kren gibt’s vielleicht auch?«
»Leider nein. Ist schon aus heute. Den aus dem Glasl mag ich nicht und vom frischen Kren kann ich nur wenig einkaufen, weil ja die Woche über zu ist.«
»Natürlich. Ein Segen, dass Sie das Wirtshaus überhaupt am Leben erhalten, Sie und ihre Freunde. Wird als Verein geführt, ohne Gewinnabsicht, wie?«
»War das eine dienstliche Frage?«
»Gott bewahre! Aber so bin ich eben. Alles interessiert mich. Ja, und diese Abmahnung neulich … Nehmen Sie’s nicht so wichtig. Sie haben sich aufgeregt und ich habe mich geärgert. Und schon gibt ein Wort das andere.«
»In Ordnung.«
»Wie geht es denn dem Herrn Sailer und seiner Frau?«
»Müssten Sie doch besser wissen, Herr Primi.«
»Müsste ich. Ist aber nicht der Fall. Norbert Sailer demonstriert mir Tag für Tag seine bemerkenswerte Qualifikation als Polizist, seine lupenreine Loyalität als Kollege und seine Überzeugung, dass er mich als Privatperson nicht zu interessieren hat.«
»Ist doch so, nicht wahr?«
»Ja und nein. Hängt schon auch alles zusammen. Ich bin zum Beispiel nicht nur hier, weil mich der Hunger übermannt hat.«
»Da schau her!«
»Jaja, spotten Sie nur, Herr Polt. Es wird Sie wundern, aber ich habe mir erzählen lassen, wie Sie damals die Sachen so angegangen sind, und ich habe versucht, daraus zu lernen. Zum Beispiel: Mitleben statt vorladen. Dabeisitzen statt gegenüber. Ist doch schon was?«
»Hm. Worauf wollen Sie hinaus, Herr Bezirksinspektor?«
»Ich will mir Arbeit ersparen. Zum Beispiel dieser Rudolf Weinwurmdoch auch ein ehemaliger Gendarm?«
»Ja. Weiß jeder. Eine Frage zwischendurch, Herr Primi: Haben Sie heute schon mit dem Norbert Sailer geredet?«
»Nein, warum?«
»Nur so … Wie kommen Sie auf den Rudi?«
»Er ist von uns befragt worden. War ja naheliegend, dass er irgendwas wissen könnte, schon von Berufs wegen.«
»Ja, klar. Und was hat er g’sagt?«
»Wirres Zeug geredet hat er. Entweder will er sich wichtig machen oder er weiß wirklich was, rückt aber nicht heraus damit. Was ist er denn so für ein Mensch, Herr Polt?«
»Schwer in Ordnung - war er jedenfalls. Durch das Trinken hat er abgebaut, in jeder Hinsicht. Bleibt aber anständig im Großen und Ganzen.«
»Und gestern Abend?«
»Was gestern Abend?«
»Na, in Ihrem Wirtshaus?«
»Ja, sagen Sie einmal, lassen Sie mich überwachen?«
»Ruhig Blut, Herr Polt. Eine Nachbarin hat den Wirbel gehört und vorsichtshalber bei uns angerufen.«
»Ich kann mir denken, welche. Der Rudi hat aus heiterem Himmel einen Wutanfall bekommen. War aber gleich vorbei.«
»Und dann haben Sie ja mit dem Weinwurm zusammen das Wirtshaus verlassenwohin?«
»Zu ihm nach Hause. Ein umgebautes Presshaus am unteren Ende der Kellergasse. Aber das wissen Sie ja.«
»Natürlich. Hat es einen bestimmten Grund gegeben, den Herrn Weinwurm zu begleiten?«
»Einen vernünftigen nicht. Leid hat er mir getan und beunruhigt war ich auch - weil er sich so aufgeregt hat.«
»Worüber eigentlich?«
»Hat er mir nicht gesagt.«
»Und weiter, bei ihm zu Hause?«
»Was halt ein Besoffener so daherredet.«
»Verstehe. Soll ich aus der Schule plaudern, Herr Polt?«
»Gegenleistung?«
»Nicht so direkt, vielleicht auch gar keine. Ich bete nur zu Gott, sofern vorhanden, dass Sie es nicht wissen.«
»Was?«
»Auf dieser zerbrochenen Flasche sind Fingerabdrücke vom Herrn Weinwurm.«
Der Besuch des jungen Herrn
»Bist krank, Simon?« Frau Habesam, eben damit beschäftigt, ihr Kaufhaus zu öffnen, schaute zur Kirchturmuhr hinüber. »Gut eine Viertelstunde zu früh!«
»Ich hab nicht recht schlafen können.«
»Wegen dem Primi, hab ich recht? War gestern Nachmittag im Kirchenwirt. Und der Rohringer am Vormittag. Da kommt schon was zusammen, wie?«
»Ja. Langsam wird’s ungut, Frau Aloisia. Alles spitzt sich zu.«
»Komm hinein, Simon, Kaffee trinken. Dann schaut die Welt wieder anders aus.«
Polt
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