Poltergeist
meinen Blick auf den Mann, der vor mir stand. Inspektor Rey Solis, ein drahtiger dunkelhaariger Mann kolumbianischer Abstammung mit einem Gesicht, das an die Oberfläche des Mars erinnerte. Ich hatte ihn nicht mehr gesehen, seitdem wir vor über einem Jahr denselben Unfallzeugen gesucht hatten. Sein dunkeläugiger Blick wirkte so undurchdringlich wie immer, aber der uncharakteristische rot-orangefarbene Schimmer, den ich durch das Grau um ihn herum sehen konnte, machte mich noch vorsichtiger.
Diese ganze Sache mit dem Erkennen der Aura mochte nützlich sein, wenn ich gewusst hätte, wie ich sie zu meinen Gunsten einsetzen konnte. Aber in diesem Fall schreckte mich die Farbe nur ab und sonst nichts.
»Eigentlich schon«, erwiderte ich.
»Nur eigentlich?«
Ich versuchte lässig zu wirken, merkte aber, dass es mir nicht so recht gelang. »Ich weiß nicht. Und was ist mit Ihnen? Warum sind Sie hier?«
»Mord.«
Mir wurde übel. Solis beobachtete mich aufmerksam. Er warf einen Blick auf das Gebäude, dann kehrten seine dunklen Augen wieder zu mir zurück.
»Ich wollte eigentlich mit dem Mieter von Appartement sieben sprechen. Etwas Geschäftliches.«
»Ein Klient von Ihnen?«
»Nein, es geht nur um Informationen zu einem Fall.«
Solis wies mit seinem Kopf in Richtung des Hauses. »Kommen Sie mit nach oben.«
Notgedrungen folgte ich ihm in den alten Ziegelbau und in den ersten Stock. Das düstere Treppenhaus roch nach muffigem Teppich. Überall konnte man laufende Fernseher und Gerede hören, denn die Nachbarn hatten ihre Türen geöffnet und schauten neugierig heraus. Je näher wir Appartement sieben kamen, desto übler und kälter wurde mir.
Auch diese Tür stand offen. Helles Licht flutete in den Gang hinaus, und die Typen von der Spurensicherung waren noch in der Wohnung. Der Polizeifotograf hatte seine Arbeit bereits erledigt und verließ gerade die Wohnung, als wir dort ankamen.
Solis stellte sich mit dem Rücken zur offenen Tür, während ich das Zimmer betrachten konnte, in dem Lupoldi gewohnt hatte. Es war ein kleines Appartement mit einem Klappbett, das an einer Wand im Flur lehnte. Eine lange Theke teilte eine kleine Küchenzeile vom übrigen Raum ab. Ein Fahrrad mit einem Bügelschloss lehnte an der hinteren Wand unter dem Fenster. Kleiderschrank und Badezimmer teilten sich die rechte Wand, auf der eine mit Blut bespritzte Vertiefung in der Größe eines Mannes zu sehen war.
Das Zimmer war von Erinnerungsfetzen durchzogen. Graue Formen früherer Bewohner erfüllten die Atmosphäre, und die Luft im Grau stank nach Tod. Unter das Cyanoacrylat, das dazu verwendet wurde, um Fingerabdrücke sicherzustellen, mischte sich der Geruch von Schwarzpulver
und Jod. Mir lief erneut ein kalter Schauer über den Rücken, und ich begann zu husten, als plötzlich ein saurer Geschmack auf meiner Zunge lag.
Solis bemerkte, wie ich würgte. »Noch wissen wir es nicht hundertprozentig, aber wir gehen davon aus, dass es sich bei dem Opfer um den Mieter handelt. Können Sie ihn identifizieren?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn nie gesehen. Er sollte heute zu einem Experiment an der PNU kommen, aber er ist nicht aufgetaucht. Deshalb wollte ich herausfinden, was mit ihm los ist.«
Die Polizisten machten sich nun daran, den Toten in einen Leichensack zu hieven. Noch lag der Mann zusammengebrochen und mit dem Gesicht nach unten auf dem abgetretenen Teppich neben der blutverschmierten Wand. Als sie ihn in den Sack hoben, schien sich die seltsam leblose Gestalt wie von selbst zu bewegen. Der zerschmetterte Kopf rollte zur Seite, sodass ich für einen Moment die weit aufgerissenen Augen des Toten sehen konnte.
Ein niemals geäußerter Schrei schlug mir im Grau entgegen. Ich trat einen Schritt zurück und sah entsetzt weg, während ich die Hand auf meinen Mund presste. Nach einem Moment ließ der Schock dieses Anblicks nach. Solis legte seine Finger auf meine Schulter, doch ich schüttelte sie ab. »Wie ist er umgekommen?«, wollte ich wissen. Hätte der Körper nicht bereits steifer sein müssen, wenn er schon einige Stunden tot war? Solis dachte kurz nach und ließ seinen Blick von mir durch den Flur wandern, als ob er dort nach einer Antwort suchen müsste. Er sah den Männern zu, wie sie die Leiche wegtrugen. Dann gab er mir zu verstehen, ihm nach draußen zu folgen.
Draußen wurde der schwarze Leichensack in einen unauffälligen
blauen Wagen geladen und davongefahren. Beide holten wir mehrmals tief Luft, ohne
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