Poltergeist
wie ein Filter agiert. Sie hält einen Teil des Grau vor dir zurück«, erklärte Ben.
»Ein Spiegel, den man von hinten sieht, würde wahrscheinlich einen Großteil der ursprünglichen Energie reflektieren«, fügte Mara erklärend hinzu.
»Also – wollt ihr damit sagen, dass diese ganze starke Energie sozusagen einfach im Glas eingefangen wird?«
Ben nickte. »Ja, ein Großteil davon.«
Ich ließ das erst einmal auf sich beruhen. »Aber wenn
Geister durch nichts hindurchgelangen können, das eine hohe Materialdichte hat, wie können sie dann durch Wände gehen? Wir wissen doch, dass das möglich ist.«
Brian tauchte mit der Schüssel voll schmutzigem Salat unter dem Tisch hervor. Albert scheuchte ihn zu Mara und mir, und der Junge lief kichernd auf uns zu.
»Wir nehmen nur an, dass wir das sehen«, sagte Ben. »Aber ich glaube, dass da mehr dahintersteckt.«
Brian blieb abrupt vor mir stehen und sah mich grinsend an, während er mir die Schüssel darbot. »Hapa.« Er gluckste vor Aufregung und warf einen kurzen Blick auf Albert, ehe er wieder mich ansah.
Ich schenkte Ben nur meine halbe Aufmerksamkeit, doch dieser fuhr unbeirrt fort. »Seitdem du gefragt hast, habe ich viel über dieses Problem nachgedacht und bin zu der Erkenntnis gelangt, dass das Grau eine zeitliche Dimension haben muss, die anders ist als unsere. Wie du weißt, sind viele Gespenster nichts anderes als die Erinnerung an etwas oder sind in Zeitschlaufen hängen geblieben. Die meisten Spektralwesen, die immer wieder dieselbe Handlung wiederholen, besitzen weder ein Bewusstsein noch eine Persönlichkeit. Sie sind wie ein Film, von dem immer wieder die gleiche Szene gezeigt wird. So wiederholen sie sich ununterbrochen, bis sie sich schließlich völlig abgenutzt haben und in Luft auflösen.«
»Verstehe. Und?« Ich zuckte mit den Achseln und nahm Brian die Schüssel ab, während ich mich fragte, warum Albert den Jungen damit zu mir geschickt hatte. Ich reichte Mara den ziemlich mitgenommen aussehenden Salat. Brian schlang seine Arme um meine Beine und drückte sich an mich. Sein Gesicht presste er gegen meine Knie.
»Na ja, sie stellen einen Moment dar«, fuhr Ben fort. »Einen
einzigen, sich immer wiederholenden Zeitsplitter, der im Grau hängen geblieben ist. Ich könnte mir vorstellen, dass es sehr viele Zeitschichten im Grau gibt, die übereinander liegen. Wenn wir sehen, wie ein Geist durch eine Wand geht, dann sehen wir im Grunde den Geist, der durch eine Öffnung läuft, die auf seiner Zeitebene im Grau existiert.«
Mara warf den schmutzigen Salat in einen Abfalleimer neben dem Spülbecken und flüsterte mir aus dem Mundwinkel zu: »Bedanke dich bei ihm.«
Ich sah Brian an und war über seine unerwartet offene Zuneigung überrascht. »Oh … Danke, Brian.«
Er kreischte begeistert auf und ließ mich los, um sogleich zu Ben zu rasen und ihm beim Tischdecken zu ›helfen‹.
»Gut gemacht, Harper – ich glaube, du hast bei Brian einen ziemlichen Stein im Brett. Und ich glaube auch, dass Ben mit seiner Theorie über die Zeit recht hat«, sagte Mara übergangslos und zupfte einen frisch gewaschenen Salatkopf in kleine Stücke. »Wenn es diese Momente gibt, in denen die Zeit stillzustehen scheint, muss es die im ganzen Grau geben. Oder vielmehr muss die Zeit im Grau auf irgendeine Weise aufeinandergestapelt sein. Dadurch können sich die meisten Geister – die schließlich nur Erinnerungen oder in gewisser Weise Zeit-Formen sind – durch die Dinge bewegen, die für uns undurchdringlich erscheinen. Für das Gespenst aber existiert der Gegenstand gar nicht, da es schließlich auch nicht mit der Gegenwart interagiert.«
»Genau«, fügte Ben hinzu, hob Brian hoch und setzte ihn in einen Kinderstuhl, der am Tisch stand. »Geister, die ausreichend Persönlichkeit und Willenskraft behalten haben, können sich durch alle Zeitebenen bewegen, die ihnen
bekannt sind. Aber Geister mit weniger Willenskraft und diejenigen, die in Zeitschleifen feststecken, verharren ganz einfach in der Zeit, in der sie gelebt haben.«
Als wir uns zum Essen hinsetzten, war Albert verschwunden. Brian war ohne den Geist etwas weniger aufgedreht und aß sein Abendessen mit mehr Kichern als lautem Nashorngebrülle. Ich vermutete, die Natur hatte es so eingerichtet, dass ein solches Verhalten die Eltern auf das nächste Höllen-Stadium der Erziehung vorbereiten sollte – die Pubertät.
Während des Essens sagte ich recht wenig, da ich über Brians plötzlichen
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