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PolyPlay

PolyPlay

Titel: PolyPlay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Eher nicht. Endlich ging auch die Menge mit, und die komplizierten Schwankbewegungen, die die Leute zu der Musik ausführten, machten den komplexen Rhythmus des Krachs deutlich, wie eine schwarze Wasseroberfläche, die in unregelmäßigen Abständen von Windböen überzogen wird. Richtig tanzen konnte man dazu natürlich nicht, aber einige versuchten es, auch eine Frau gleich neben ihm. Ihre Bewegungen waren sehr geschmeidig, und auf eine unerklärliche Weise traf ihr Tanz den Charakter der Musik genau. Sie schien mit deren Struktur im Einklang, jede Stimmungsänderung, jeden Effekt, jeden Wechsel der Tonart kommentierte sie mit einer passenden Geste. Meine Güte, dachte Kramer, meine Güte. All das war ihm unheimlich, aber er konnte kaum wegsehen, und wenn er es doch tat, merkte er, wie sein eigener Körper nach Wegen suchte, mit dieser Musik umzugehen. So ging das eine Weile.
    Etwa zwanzig Minuten hatte das Konzert gedauert, da kam eine neue Bewegung in die Menge, eine andere, zielgerichtetere. Jetzt waren auch Schreie zu hören. Kramer verstand überhaupt nicht, was geschah, aber er wurde von der andrängenden Menge weggeschoben wie von einem schwarzen Handschuh, und nach ein paar Metern sah er ein, dass er laufen musste, um nicht überrollt zu werden. Es roch nicht mehr nach ekstatisch-gemütlichem Schweiß, wie noch einige Minuten zuvor, jetzt lagen Panik und Gewalt in der Luft. Plötzlich brach die Musik ab, und die Straße war voller Gebrüll. Wo liefen sie hin? Auf die Polizeiketten zu, die sich ihnen mit gehobenen Schilden und Schlagstöcken in den Weg stellten. Als die Menge auf die Polizistenphalanx prallte, sausten sofort die Knüppel auf sie nieder, aber die Nachdrängenden schoben die Vorderfront einfach weiter, die Polizeikette brach, und Kramer, der als einer der Ersten mit durchgeschoben wurde, sah von den Mannschaftswagen weiter hinten Kollegen abspringen, bereit, die Flüchtenden zu empfangen. Kramer lief automatisch weiter, bis er umgerissen wurde.
    »Ich bin Polizist!«, schrie er, auf dem Boden liegend, während mindestens zwei seiner Kollegen auf ihm knieten. »Aufhören! Polizeiinspektion Friedrichshain! Oberleutnant Kramer! Polizeiinspektion Friedrichshain!«
    Jemand wühlte in seiner rechten Jackentasche und zog den Geldbeutel heraus. Dann eine Stimme: »Aufhören! Es stimmt, er ist Polizist!«
    Kramer rappelte sich auf, geholfen wurde ihm dabei nicht. Er suchte nach der Hand, die seinen Geldbeutel hielt, und fand sie. Ungeschickt steckte er sein Eigentum wieder ein und hoffte, dass es vollständig war.
    »Was denn hier los? Alle verrückt geworden, oder was?«, keuchte er mühsam.
    Seine Kollegen sahen ihn schweigend an. Hinter ihnen war eine wüste Schlägerei im Gange. Polizisten prügelten sich mit Konzertbesuchern, Konzertbesucher prügelten sich mit Leuten, die Kramer bisher überhaupt noch nicht wahrgenommen hatte: grüne Bomberjacken, kurze Haare, Jeans, Springerstiefel. Wo kamen die Skins denn plötzlich her? Und dann sah er, wie zwei Polizisten aus dem dicksten Getümmel eine Frau wegzogen, die Kramer wegen ihrer hellen Kleidung sofort auffiel. Sie sah in seine Richtung. Es war Katharina Abusch. Kramer war verblüfft, und das half ihm, wieder zu sich zu kommen.
    »Einsatzleitung«, sagte Kramer und wischte sich die Haare aus der Stirn. »Wo ist die Einsatzleitung?«
    »Und was haben Sie hier eigentlich zu suchen?«, knurrte ihn einer der Bereitschaftspolizisten an. »Dienstlich oder privat hier?«
    »Zufällig«, keuchte Kramer, immer noch außer Atem. »Ich bin zufällig in das Konzert hineingeraten. Ich will wissen, was los ist.«
    Der Bereitschaftspolizist trat einen Schritt auf Kramer zu. Er hielt seinen Knüppel immer noch in der Hand. »Ich gebe Ihnen einen guten Rat, Genosse Oberleutnant. Gehen Sie nach Hause.«
    Kramer verstand zwar immer noch nicht, was hier gespielt wurde, aber er merkte, dass er nicht erwünscht war. Die Flüche, die ihm auf der Zunge lagen, schluckte er runter, während er davontaumelte. Sein Auto vermutete er in der Kampfzone, deswegen kümmerte er sich erst gar nicht darum. Eine Nebenstraße weiter wischte er sich noch einmal die Haare aus der Stirn. Erst da bemerkte er, dass er blutete.
     
    »Wie siehst du denn aus?«, fragte Anette erschrocken, als er ins Wohnzimmer kam. Kramer grinste. »Ich war auf einem Konzert.« Die Abendnachrichten erzählten von dem Aufruhr nichts.
     

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    Das Büro von Major Achim Lobedanz war sehr ordent

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