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PolyPlay

PolyPlay

Titel: PolyPlay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Täuschungsmanöver.«
    »Wie das?«
    »Ich weiß nicht, ob Sie Polyplay kennen. Es ist wirklich primitiv, ein Spiel für Idioten.«
    Kramer vermied es, Pasulke anzusehen.
    »Es stammt aus einer Ära, in der Computer für richtige Spiele noch nicht leistungsfähig genug waren. Michael war süchtig nach Polyplay, aber er wollte sich das nicht eingestehen und phantasierte sich geheimnisvolle ›Geisterspiele‹ zusammen, nach denen er angeblich mit viel Aufwand suchte. In den letzten Wochen redete er fast nur noch davon. Es wurde lästig. Vor etwa einer Woche rief er mich aufgeregt an und erzählte mir, er habe eine Entdeckung gemacht. Er müsse mir das unbedingt zeigen, könne aber am Telefon nicht darüber reden.«
    »Und?«
    »Nichts und. Ich erklärte ihm, ich sei nicht interessiert. Und ich war es auch nicht. Ich muss zur Zeit an meinen schulischen Leistungen arbeiten, und ich hatte keine Lust auf Michaels Spinnereien. Schließlich wollte ich in der Schule nicht so aussehen wie er. Michael legte einfach auf. Dann kam er zwei Tage nicht zur Schule, was in letzter Zeit auch öfter vorgekommen war, und dann hörte ich von seinem … erfuhr ich, dass er tot war.«
    »Sie haben nicht herausgefunden, was es mit dieser Entdeckung auf sich hatte?«
    »Nein. Es fehlte mir auch der Ehrgeiz dazu.«
    »Irgendeine Vermutung?«
    »Michael wollte mir weismachen, er habe die Geisterspiele gefunden.«
    »Die es Ihrer Meinung nach nicht gibt.«
    »Ich habe dazu keine besondere Meinung. Selbst wenn es sie gibt, na und? Höchstwahrscheinlich genauso dürftiges Zeug wie die normalen Spiele. Interessiert mich nicht.«
    Kramers Kopfweh war mittlerweile ziemlich unangenehm. Er rieb sich die Stirn – möglichst unauffällig, aber den aufmerksamen Augen von Sebastian Verner entging es nicht. Mit diesem altklugen Kind zu kämpfen war eine Qual.
    »Gut«, sagte Kramer. »Sie hören von uns.«
    Sebastian stand auf. Er war schon beinahe aus der Tür hinaus, als Kramer ihn noch einmal zurückhielt.
    »Herr Verner! Verstehen Sie eigentlich etwas von Kryptographie?«
    Auch das brachte den jungen Grafen nicht aus dem Gleichgewicht.
    »Kryptographie? Nicht viel. Ich spiele derzeit sowieso nicht so viel an Computern herum. Die Schule geht vor, wie gesagt. Warum fragen Sie?«
    »Nur so ein Gedanke, Herr Verner. Schönen Tag noch.«
    »Boah«, sagte Pasulke im Auto. »Was ein Kotzbrocken.«
    »Klingt plausibel, was er sagt«, bot Kramer an.
    »Und ist trotzdem alles Scheiße«, gab Pasulke zurück.
    »Du sagst es. Hast du gemerkt? Kryptographie hat nicht immer was mit Computern zu tun. War aber sein erster Gedanke.«
     
    Der Verkehr in Berlin wurde immer schlimmer. Das kam von der allgemein hohen Lebensqualität. Wenn auch die öffentlichen Verkehrsmittel konkurrenzlos günstig blieben, wollten doch die meisten was Eigenes. Seitdem sich die neuen Brennstoffzellen mehr und mehr durchsetzten, konnte man nicht einmal mehr behaupten, das Autofahren verschmutze die Umwelt. Das Gewissen der Besitzer war so rein wie die Abgasbilanz ihrer Motoren, und Kramer sah den Tag voraus, an dem ganz Berlin rund um die Uhr im Stau stehen würde – mit Autos, aus deren Auspuff nichts als Wasser kam. Es war noch nicht so schlimm wie in Westberlin vor 1987, aber bald hatte die Hälfte der DDR-Bewohner ein Auto, und das waren nicht die Trabbis und Wartburgs von einst, sondern richtige Schlitten mit allen Schikanen. Warum Kramer selbst nicht U-Bahn fuhr? Er dachte stattdessen daran, seinen BMW auf Brennstoffzelle umrüsten zu lassen.
    Er beschloss, nicht daheim zu Abend zu essen, sondern in einer der kleinen polnischen Suppenküchen, die in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen waren. Die Polen hatten den Schnellspeisemarkt im Osten Berlins fest in der Hand, abgesehen von den paar Vietnamesen, die mit ihnen konkurrierten. Kramer mochte, was die Polen anboten. Wie gut, dass die Cotheniusstraße direkt an seinem Heimweg lag: Dort gab es einen kleinen Fressladen neben dem andern. Der Form halber waren alle diese Läden in PGHs zusammengefasst. Diese Genossenschaften mussten auch Pläne und Gegenpläne aufstellen und waren nach oben rechenschaftspflichtig. Aber de facto war der einzelne Garküchenbesitzer autonom, solange er den Oberflächensozialismus nicht in Frage stellte und seine Steuern zahlte. Kramer aß eine Biersuppe mit Sahne und Weißkäse und blätterte dazu eine polnischsprachige Zeitung durch (in der DDR gedruckt), von der er kein Wort verstand.

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