PolyPlay
diese Melodie nicht mehr hören. »Sollen wir jetzt ermitteln oder das Lied von der Partei singen?«
Daraufhin war es eine Weile still. Alle schauten ein wenig drein, als habe Kramer einen fahren lassen.
»Also gut«, sagte Lobedanz. »Was meinst du, Jochen?«
»Rüdiger hat schon Recht. Wenn wir bei Katharina Abusch gar nichts machen dürfen, ist komplette TK-Überwachung bei Sebastian Verner das Mindeste. Telefon, Internetz, Fax, alles. Der hat Dreck am Stecken, Chef.« Lobedanz stöhnte. »Noch was?« »Ja«, sagte Kramer schnell, »wir müssen nach Köln.« »Nach Köln?«, fragte Lobedanz. »Karneval war aber schon, oder?« »Polyplay wurde vom VEB Polytechnik Karl-Marx-Stadt hergestellt. Im Zuge der Umstrukturierung unserer sozialistischen Wirtschaft und besonders jener Sektoren, die für den wissenschaftlich-technologischen Fortschritt relevant sind, hat die Polytechnik aber rübergemacht. Heißt jetzt VEB Spielgeräte Fritz Theilen. Sitzt in Köln. Mit denen würde ich mich gern mal bereden. Über Geisterspiele und so 'ne Sachen.« »Und das geht nicht per Telefon? Oder per Videokonferenz?« »Manches muss man sich persönlich anschauen. Ihre Rede, Chef.« »Mann, Mann, Mann«, sagte der Major Achim Lobedanz. Und dann: »Haut schon ab.«
Die »Deutsche Reichsbahn« hieß jetzt nicht mehr so. Nach der Wiedervereinigung hatte die DDR die »Deutsche Reichsbahn« in »Sozialistische Verkehrsbetriebe Bahn«, kurz SVB, umbenannt. Nicht alle fanden den neuen Namen gelungen, im Volksmund hieß das Unternehmen »die Bahn«. Trotzdem prangte auf dem Dach des Ostbahnhofs der Schriftzug: »SVB Ostbahnhof Berlin«. Direkt darunter hing ein gigantisches Plakat, auf dem zu lesen war: »Roter Mars 2019«. Das hatte nichts damit zu tun, dass man jetzt mit der Bahn zum Mars fahren konnte: Im Ostbahnhof selbst und im anliegenden Postbahnhof fand gerade eine Ausstellung zu den Marsplänen der DDR statt. Wie Kramer fand, erinnerte die sozialistische Ornamentik auf dem Plakat stark an den Weltraumkitsch aus den frühen Sechzigern. Irgendwie war den Genossen Grafikern noch nichts richtig Neues eingefallen.
Der Bahnhof war nach einer mehrjährigen Renovierung gerade wiedereröffnet worden. Alles war so neu, dass es beinahe unecht wirkte; durch die Raumfahrtexponate wurde dieser Eindruck noch verstärkt. An ausgebrannten alten Sojuskapseln, interaktiven 3D-Schirmen und vielen aufgeregten Vätern mit vielen aufgeregten Kindern vorbei bahnten sich Kramer und Pasulke ihren Weg. Wenn sie etwas mehr Zeit gehabt hätten, wäre Kramer da und dort stehen geblieben, Weltraum hatte ihn schon immer interessiert. Aber sie waren in einen Stau geraten, und der Zug würde in fünf Minuten abfahren. Eigentlich hätte auch Merz mit dabei sein sollen, aber der war krank, und so blieben sie bei ihrer Köln-Expedition auf sich gestellt, zumindest, was den Computersachverstand anging. Kramer kaufte an einem Kiosk noch schnell die Tageszeitung (Berlin-Ausgabe), und dann mussten sie laufen, um den Zug nicht zu verpassen.
Wie erwartet, stand der MSE Clara Zetkin längst abfahrbereit. Die DDR hatte es sich aus lauter Jux und Dollerei geleistet, ein Magnetschwebenetz zu bauen, wie es in Westdeutschland mit dem »Transrapid-Projekt« geplant gewesen war. Dieses zweite Bahnnetz hatte Unsummen gekostet, und sein Ausbau verschlang jährlich noch immer Milliarden, aber das Ergebnis konnte sich wirklich sehen lassen. Die flachen, aerodynamischen Züge wirkten wie aus der Zukunft, ganz besonders in diesem neuen Bahnhof. Der Volksmund nannte die Magnetschwebezüge »Chromflundern« – ein wenig übertrieben, denn sie waren eher grau wie gebürstetes Aluminium. Die Außenhaut wurde von der SVB übrigens als »verschleißfrei« beschrieben.
Kramer drückte auf den Knopf der Verriegelung, und die massive Druckkabinentür glitt mit einem leichten Zischen zur Seite. Kramer und Pasulke ließen sich in ihre Sitze fallen. Eine Zugbegleiterin, die wirklich ausnehmend hübsch war, fragte sie nach ihren Wünschen. Kramer wünschte ein Mineralwasser, Pasulke ein Bier zur besseren Verdauung seines Frühstücks. Kramer konnte nicht umhin, der Zugbegleiterin hinterherzuschauen: Ihre Beine waren wohl geformt.
Pasulke sagte: »Oh, oh, Glubschaugenalarm.«
»Tja, bei mir gibt's extra Alarm, bei dir sind die Glubscher Standard.«
»Pah«, sagte Pasulke und schaute zum Fenster hinaus.
Kramer schlug seine Zeitung noch nicht auf, denn die Zugbegleiterin würde ja noch die
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