PolyPlay
abgerissener Fabriken, verfallenes Fachwerk in der sächsischen Provinz, Geräteschuppen, Wasserhäuschen und dergleichen. Klein mussten die Buden sein und heruntergekommen, und manchmal fragte er sich ernsthaft: Könnte ich darin schlafen? Würde das reichen? Würde man mich dann in Ruhe lassen? Eine Marotte.
Während er an der dänischen Küste spazieren ging, blühte diese Marotte in ungeahnter Pracht. Verfallene Strandhütten. Ein abgewracktes Hotel mit fensterloser Gartenlaube. Ein Blechverschlag, militärisch grün, davor ein Betonkreis, aus dem rostige Stutzen ragten und über dem die heiße Luft flimmerte – vielleicht die Überreste einer Radarstellung. Ein altes Bienenhaus, ohne Bienen. Uferhöhlen, gerade groß genug für ein Indianerspiel, mit Überresten von Feuerstellen darin. Als er daran dachte, in einer aufgelassenen Fischerkate (mit Ziegenstall) zu übernachten, nur für eine Nacht, nur probehalber, riss er sich am Riemen: Jetzt ist aber gut, dachte er. Du kommst noch auf die schiefe Bahn.
Er flirtete dann doch noch ein wenig mit der Mittdreißigerin. Aus Notwehr gegen das Hüttensyndrom. Eines Morgens setzte sie sich einfach zu ihm an den Tisch, und Kramer war zu überrascht, um sie wegzuschicken. Mona Lebrecht hieß sie, stammte aus Gera und war Kreispionierleiterin. Braune Haare, grüne Augen, lebhaftes Gesicht. Kramer nannte sich selbst einen Polizisten, als er sich vorstellte.
»Da muss ich Sie gleich verhaften«, sagte die Pionierleiterin Mona. »Spielen Sie Tennis?«
Kramer hatte in seinem Leben noch keinen Tennisschläger in der Hand gehabt. »Nein«, sagte er lachend, »ich bin Handballer.«
»Das macht überhaupt nichts«, sagte sie ernsthaft, als sei Handball eine Art Behinderung. »Ich bringe Ihnen Tennis bei. Heute. Gleich nachher. Sie lernen das ganz schnell. Das spüre ich.«
Aus Spaß sagte Kramer zu. Warum noch länger bei schönem Wetter auf seinem Zimmer hocken und an Michael Abusch denken? Tennis? Also schön.
Sie gingen auf den hoteleigenen Platz, der ein wenig heruntergekommen und nicht mehr völlig eben war, und Kramer gab sich redlich Mühe. Er stellte sich tatsächlich nicht völlig blöd an, und Mona stemmte nach einer halben Stunde die Hände in die Hüften.
»Sie wollen mich verulken. Natürlich haben Sie schon mal Tennis gespielt. Sie haben bis vor ein paar Jahren sogar ziemlich gut Tennis gespielt, und dann haben Sie es aus irgendeinem Grund sein lassen.«
»Ich verrate Ihnen was«, gab Kramer zurück. »Eigentlich heiße ich Boris Becker.«
»So ein Quatsch«, sagte Mona und schlug auf. Kramer konnte gerade noch ausweichen.
»Hee, hee«, sagte er. »Das ist ja Körperverletzung, was Sie da machen.«
Nach dem ungleichen Tennismatch wollte Mona schwimmen gehen, wegen der Abkühlung. Kramer hatte nichts dagegen, holte seinen Schwimmkram und legte sich mit seiner Urlaubsbekanntschaft an den Strand. Der Tag war wunderbar, am Himmel nicht eine einzige Wolke, sie hatten den Strand fast für sich, und am Fuß der Steilklippe, die sie vor dem zugigen Ostwind schützte, wurde es richtig warm. Mona planschte im Wasser herum, und Kramer fiel deutlich auf, dass sie eine gute Figur hatte.
»Kommen Sie jetzt rein, Herr Becker, oder soll ich das Wasser zu Ihnen hinbringen?«
Kramer missfiel sein Bauchansatz, als er auf sie zulief.
Sie machten eine Inseltour und zwei längere Spaziergänge. Sie sahen sich in einem winzigen Dorfkino einen alten amerikanischen Film mit dänischen Untertiteln an. Ein Kellner behandelte sie wie ein Ehepaar. Aber bis zum Schluss blieb es beim »Sie«. Zum Abschied gab Mona ihm ihre Adresse in Gera, und das war es dann.
Kramer machte sich keine großen Gedanken darüber, was Mona Lebrecht an ihm attraktiv gefunden hatte. Er glaubte nicht, dass es seine männliche Ausstrahlung gewesen war. Wahrscheinlich hatte sie sich auch bloß gelangweilt und das nicht so selbstverständlich hingenommen wie er. Noch im Zug nach Berlin freute er sich darüber, dass sie den Mut gehabt hatte, den ersten Schritt zu tun.
Füchse jagen
»Merz ist tot.«
Kramer setzte sich vor Überraschung gleich wieder hin, nachdem er aufgestanden war, um Pasulke zu begrüßen. Er war relativ gut gelaunt zum Dienst angetreten, hatte im Treppenhaus sogar zwei Stufen auf einmal genommen und dabei Mozarts »Kleine Nachtmusik« vor sich hin gepfiffen. Er hatte seine E-Mails durchgesehen, er hatte sich mental darauf vorbereitet, von Lobedanz zur Besprechung gerufen zu
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