PolyPlay
werden. Und jetzt stand Pasulke vor ihm und erzählte ihm unverständliche Dinge.
»Nein«, war alles, was Kramer dazu einfiel.
»Doch. Selbstmord, mit seiner Dienstwaffe. Vor vier Tagen. Wird übermorgen beerdigt. Falls sie nicht noch mal obduzieren.«
»Selbstmord?«, stammelte Kramer. »Aber … wieso?«
»Weiß keiner. Seine Frau is so fertig, die musste in die Charité. Kein Abschiedsbrief, keine Erklärung, nix.«
»Du willst mich veralbern, oder?«
»Ganz bestimmt nicht, Rüdiger. Nee.«
Kramer starrte Pasulke an: Sein Kollege hatte Tränen in den Augen. Das hatte Kramer bei ihm noch nie gesehen, und er kannte ihn jetzt über zehn Jahre. Es war auch nur zu verständlich. Merz war beliebt gewesen, aus einem ganz einfachen Grund: Er hatte Humor gehabt, und sein Ehrgeiz hatte der Arbeit gegolten, nicht der Karriere. Von seiner Hilfsbereitschaft in Computerfragen ganz abgesehen.
»Tut mir Leid, Jochen.«
»Is schon in Ordnung«, sagte Pasulke und wandte sich zum Gehen.
»Jochen«, fragte Kramer. »Gehen alle zusammen hin?«
»Denke doch. Kränze und so sind schon bestellt.«
»Was ist eigentlich mit dem Abusch-Fall?«, fiel Kramer gerade noch ein, als Pasulke schon fast aus der Tür war.
»Was soll mit dem sein? Der ist eingestellt.«
Bei der Beerdigung schien die Sonne. Genau genommen war das der erste richtige Frühlingstag, wenn auch nicht für Kramer, der in Dänemark schon einen Vorgeschmack auf den Sommer bekommen hatte. Fast die ganze Inspektion war da. Die einen schwitzten in Uniformen, die anderen in Zivilanzügen. Auch der stellvertretende Polizeipräsident war zugegen. Er hielt eine Rede, die Merz als Vorbildpolizisten im Dienst an der sozialistischen Menschengemeinschaft feierte. Auch sein Humor wurde erwähnt. Den Tod von Merz fand der Vizepräsident tragisch und unverständlich. Er sei umso schwerer zu akzeptieren, als er so vielen Menschen einen hervorragenden Genossen geraubt habe, und das im besten Mannesalter. Als sich Kramer das anhörte, dachte er: Das war früher immer der Punkt, an dem die Pfaffen von Gottes unergründlichem Plan sprachen.
Die Sonne schien in das offene Grab. Die Trauernden defilierten in einer langen Reihe daran vorbei und warfen Blumen und Erde hinein. Kramer bemerkte die vielen roten Schleifen an den Kränzen, die an einem großen Ständer auf ihre Verwendung warteten. »In ehrendem Gedenken«, »Einem tapferen Genossen«, »Wir denken an dich«: »Die Polizeiinspektion Friedrichshain«, »Der Polizeipräsident in Berlin« und »Freunde und Kollegen«. Orden für Tote.
Pasulke weinte tatsächlich, als er ein Schäufelchen Erde ins Grab schüttete. Akkermann, der zufällig kurz vor ihnen dran war, entblödete sich nicht, am offenen Grab die Faust zum Rotfront-Gruß zu ballen. Und genau in diesem Moment zuckten die Blitzlichter der Pressefotografen auf, was höchstwahrscheinlich bedeutete, dass der Berlin-Teil des Neuen Deutschland am nächsten Tag mit Akkermann und seiner geballten rechten Faust aufmachen würde. Als Kramer das sah, hätte er dem eitlen Fatzke am liebsten persönlich in den Hintern getreten. Andererseits: Dann wäre diese Flasche vielleicht zusammen mit Merz beerdigt worden, und das wollte Kramer dem Toten nun auch nicht zumuten.
Franziska, Merzens Witwe, stand offensichtlich unter Medikamenten. Sie nahm die Kondolenzen der Trauergäste völlig unbewegt entgegen. Ihr Gesicht war so bleich und starr wie helles Kerzenwachs, der Lippenstift wirkte wie einer Puppe aufgeschminkt. Eine Frau, die Kramer als Psychologin vom POD kannte, und eine ältere Dame, offensichtlich ihre Mutter, standen an ihrer Seite. Ihre beiden Töchter versteckten sich hinter ihren Beinen. Kramer dachte noch einmal an seinen Kinderwunsch von vor zwei Wochen. Lieber nicht, dachte er, wenn das Leben mit solchen Szenen aufwartet. Dann lieber nicht.
Kramer konnte Franziska Merz nicht in die Augen sehen, als er ihr die Hand gab. Er murmelte vor sich hin, dass er sehr betroffen und traurig sei, und verhaspelte sich dabei auch noch. Was dieser Frau hätte helfen können, wusste er nicht. Vielleicht irgendeine Religion. Oder die Spezialisten vom POD.
Die Stimmung beim Leichenschmaus war sehr niedergeschlagen. Der Polizeipräsident hatte sich schon verabschiedet; auch Franziska Merz nahm nicht teil. Offensichtlich hatten viele keinen rechten Appetit, und nur die Alkoholiker unter den Kollegen machten sich über den Schnaps her. Pasulke, Natschinsky und Schumacher bildeten
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