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PolyPlay

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Titel: PolyPlay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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In gewisser Weise hatte er ja Recht. 1967 hatte Roy Bates, ein durchgeknallter ehemaliger Major der britischen Armee, die aufgegebene Seefestung besetzt und das »souveräne Fürstentum Sealand« ausgerufen. 1968 hatte ihn das Königreich wegen Verstößen gegen das Waffengesetz vor Gericht zerren wollen, aber, surprise, surprise, die zuständigen Richter hatten die Aufnahme des Verfahrens mit der Begründung abgelehnt, die Festung liege außerhalb der 3-Meilen-Zone, die Großbritannien zu dieser Zeit als nationale Gewässer beanspruchen konnte. In den Jahren darauf wurde die Zone auf 12 Meilen ausgedehnt, und andere übrig gebliebene Seefestungen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs wurden gesprengt, um ähnliche Vorgänge zu vermeiden. Aber Fürst Roy von Sealand beharrte auf seiner Unabhängigkeit und druckte Briefmarken und Pässe, suchte die Anerkennung anderer Staaten und erließ 1975 sogar voller Stolz eine eigene Verfassung. Muss lustig gewesen sein, dachte Wes.
    Ende der Neunziger hatte sich der Spaß abgenutzt. Fürst Roy war müde und pleite und vermietete seinen Staat an die Veridat Inc. (Dallas/Texas und Fürstentum Sealand), die aus der Festung der Welt sichersten »data haven« machte. Eine gigantische Serverfarm mitten im Meer, mit den neuesten Maschinen, die viel Platz für alles Mögliche boten, was diskret behandelt werden sollte. Ein Schweizer Schließfach für Daten. Die Internetverbindungen zur Außenwelt waren Weltklasse. Und all das war der Grund dafür, dass Wes sich überhaupt auf der Festung befand und dass Masters als »Verteidigungsminister« auftreten konnte. Fürst Roy hatte ihn dazu ernannt.
    Mr. Tennisson von der »Northern Rose« war all dies unbekannt, wie 99,999 % der restlichen Menschheit auch, und er fragte zurück: »Sind Sie irre?«
    Masters antwortete nicht darauf. Er gab McCollum, dem Vizeverteidigungsminister, den Befehl »Feuer frei!« Blot-blot-blot-blot machte das Maschinengewehr, mit dem man auch niedrig fliegende Flugzeuge abschießen konnte, vorausgesetzt, sie waren nicht zu schnell. Wes dachte: Jetzt geht der Schwachkopf zu weit. Masters war anderer Ansicht. Auch Gabriel, der Mann am Granatwerfer, erhielt den Befehl »Feuer frei!« und führte ihn umgehend aus. Fump! Die Granate verfehlte glücklicherweise ihr Ziel, erzeugte aber eine beachtliche Fontäne, als sie knapp unter der Wasseroberfläche explodierte. Masters stand mit seinem Feldstecher auf dem Lastendeck und sah aus wie der Kapitän der »Hood« im Kampf mit der »Bismarck«.
    Tennisson schien die Schnauze voll zu haben. Aus dem schlanken Schornstein seiner Yacht kam dichter Rauch von unsauber verbranntem Schiffsdiesel, und das Boot tuckerte langsam, langsam davon. Masters, der Vollidiot, beglückwünschte McCollum und Gabriel zur heldenhaften Verteidigung der Souveränität Sealands, und in der Kommandozentrale hielten sich alle vor Lachen die Bäuche. Außer Wes.
     

Du bist eingeladen
    Kramer wollte seine Frau berühren, aber er wagte es nicht. Sie war erschöpft von der Arbeit zurückgekommen und hatte ihm in der Küche nur kurz die Hand auf die Schulter gelegt, bevor sie ins Bett gegangen war. Jetzt lag Kramer neben ihr, voller Bitterkeit und Sehnsucht. Jetzt irgendetwas zu erzwingen wäre furchtbar geworden, das wusste er aus Erfahrung nur zu genau. Aber er war einsam! Wie lange sollten sie eigentlich noch so nebeneinanderher leben? Natürlich war sie nicht allein schuld, denn auch er schwieg sich über seine Sorgen und Nöte beharrlich aus. Wie konnte er aber Anette auch von den unglaublichen Erlebnissen der letzten Tage berichten? Was hätte das gebracht? Im schlimmsten Fall den Rat, den auch Pasulke ihm gegeben hatte: das Ganze zu vergessen und mal richtig auszuspannen (das aus Anettes Mund!). Im besten Fall würde sie ihn ernst nehmen und sich zu ihren eigenen Sorgen noch die seinen aufladen. Wäre das fair gewesen? Wohl kaum. Aber er hätte sie so gerne berührt. Sie lag auf der Seite, mit dem Rücken zu ihm. Regelmäßig hob und senkte sich die Decke über ihrem Oberkörper. Er strich ganz leicht darüber hin, so, dass sie es nicht spüren konnte, dass sie nicht gestört wurde in ihrem wohlverdienten Schlaf.
    Kramer sank in sein Kissen zurück. Seine private Einsamkeit – seine berufliche Einsamkeit. Es mochte alles wirr und undurchschaubar sein, aber es gab einen Zusammenhang zwischen all den seltsamen Ereignissen seit Michael Abuschs Tod. Verstand das denn niemand außer ihm? Pasulke hatte

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