PolyPlay
hatte sich Kramer von diesen Kinkerlitzchen verabschiedet.
Die Zeiten hatten sich geändert. Die Computerspieler waren eine andere Sorte von Kunden. Während Kramers Freunde damals nächtelang durchdiskutiert hatten, waren die Konsolenkinder stumm. Sie standen in stillen Gruppen um die Automaten herum wie Fachleute um eine Versuchsanordnung, und wenn sie redeten, dann benutzten sie einen bizarren Techno- und Spielerslang, der wahrscheinlich extrem »trocken« und »groß« war, aber Kramer überhaupt nichts sagte.
Es brachte nichts, sich zu verstellen, das merkte er gleich. Egal, wie er sich anzog, die jungen Leute sahen ihm auf zwanzig Meter Entfernung an, dass er ein Bulle war. Deswegen entwickelte er bei seinen Besuchen in den Spielhöllen eine bestimmte Vorgehensweise. Er latschte einfach in die Läden rein, setzte sich auf einen Stuhl oder eine Tischkante und wartete darauf, dass einer der Jungs sich von seinen Freunden verabschiedete, zum Klo musste oder neues Münzgeld holen ging. Dann griff er sich den Knaben und hielt ihm ein Bild von Michael unter die Nase, nachdem er sich mit Namen und Dienstgrad vorgestellt hatte. Manche waren verängstigt (»Ich kann mich nicht erinnern, Herr Oberleutnant«), andere gleichgültig (»Kenn ich nich. Nie gesehen.«), und ein Gutteil von ihnen wollte »groß« und »trocken« wirken, auch im Gespräch mit einem Oberleutnant (»Soll 'n das eigentlich?«). Kramer ließ sie.
Es ging ihm nicht darum, jemanden einzuschüchtern oder auszuquetschen. Er suchte nur nach einem Muster. Nach einem roten Faden, an dem er ziehen konnte, um das verworrene Knäuel um Michael Abusch herum aufzudröseln. Das Ergebnis dieser Befragungen war gleichzeitig eindeutig und dürftig: Einige hatten Michael gekannt, gemocht hatten ihn nur wenige. Er war ein Außenseiter gewesen – wegen Polyplay. »Ach, der Pippimat«, bekam er öfter zu hören. »Pippi« gleich PP gleich Polyplay. Manche der Aussagen waren so herablassend, dass sich Kramer absurderweise im Nachhinein Gedanken um den Jungen machte, wie ein Vater, der herausfindet, dass sein heranwachsender Sohn keine Freunde hat. Manchmal fragte er nach illegalen Sachen, von denen er nur vermuten konnte, dass die Jugendlichen Kontakt damit gehabt hatten: verbotene Spiele, Raubkopien usw. Dann wurden die Allermeisten aber extrem einsilbig, und das Wenige, was sie äußerten, hatte bis auf eine Ausnahme nie mit Michael Abusch zu tun. Die eine Ausnahme bestand in der Behauptung, Michael sei öfters mit einem gewissen Mike gesehen worden. Felix »Mike« Ihmels war einer von der Fünferliste, die Kramer seinerzeit von Majorin Schindler erhalten hatte, aber er fand den Zeugen nicht glaubwürdig und hakte ihn als Wichtigtuer ab. Fazit nach vier Tagen: so gut wie nichts.
Am fünften Tag wurde er von einem Kollegen zur Rede gestellt.
Die Spielhalle im Kulturhaus an der Französischen Straße war ziemlich groß, die Musik recht laut, und zu Kramers Erstaunen trug eine ganze Anzahl der Jugendlichen ihr blaues FDJ-Hemd.
»Oltersdorf, Schutzpolizei Mitte«, sagte der korpulente Mittvierziger, während er Kramer seinen Dienstausweis hinhielt. »Ich hätte da mal 'ne Frage.«
»Schießen Sie los.«
Oltersdorf wirkte ganz wie der gemütliche Dicke von nebenan, aber Kramer war auf der Hut. Er kannte diesen Typ Polizist nur zu gut.
»Wir sind doch Kollegen, oder?«
Kramer nickte.
»Wissen Sie, wir haben da so eine Aktion laufen. Gegen Vandalismus. In letzter Zeit, die jungen Leute, Sie wissen schon. Geräte kaputt oder aufgebrochen, Farbschmierereien, das Übliche. Hat ein bisschen Überhand genommen. Da haben wir uns gedacht, wir machen mal was. Auf der einen Seite Präsenz zeigen, auf der anderen Seite ein paar Ohren lang ziehen, wenn man einen erwischt.«
Kramer nickte.
»Seit ein paar Tagen erzählen mir die Kollegen, in Berlin läuft einer in den Spielhallen rum und stellt komische Fragen. Wegen Mord und so. Ich nehm mal an, Sie sind das.«
»Kann schon sein«, sagte Kramer.
»Aha. Dann wüsste ich doch gar zu gerne, was das soll. Es ist nämlich so. Wenn Sie jetzt mit Ihrer Mordsgeschichte hausieren gehen, ist unsere Arbeit zum Teil in den Wind geschissen. Die Szene kriegt nämlich Angst, wird eine Weile ganz brav, und wir finden keine Ohren zum Langziehen. Nur ist das blöd. Wir haben nämlich unsere Aktion ziemlich lange geplant und so. Wären Sie wohl so freundlich, verehrter Kollege, mir Ihren Namen und Ihre Dienststelle zu nennen, damit ich
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