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PolyPlay

PolyPlay

Titel: PolyPlay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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drohten. Als er prüfte, wie viel er eigentlich kopiert hatte, stellte er fest, dass es sich um etwa 4,9 % des gesamten aktiven Datenbestands auf einer Platte in Serverrack 9 handelte. Lächerliche 4,9 %. Das bedeutete, dass die Dateien dort unten nicht nur verschlüsselt, sondern auch extrem stark komprimiert waren, und spätestens jetzt wunderte ihn nicht mehr, dass die Prozessoren so heiß wurden.
    Wes öffnete die Verzeichnisse mit den kopierten Daten. Die größte davon, 107,1 Gigabyte fett, hieß: CCONTR-LPP Sein Finger schwebte über der Maustaste. Nach amerikanischem Recht hatte er soeben ein Bundesverbrechen begangen, das mit bis zu zehn Jahren Haft geahndet werden konnte: Datendiebstahl. Wenn seine Arbeitgeber herausfanden, was er da trieb, war seine offizielle Karriere als Computerprofi beendet, und das weltweit. Er wusste nicht, was er sich da an Land gezogen hatte. Vielleicht war diese Datei der Welt größte Virenbibliothek oder das Poesiealbum eines südamerikanischen Drogenkartells, in der Langversion, mit Porträtfotos und Bankabrechnungen der letzten zwanzig Jahre.
    Er öffnete die Datei.
    Zuerst passierte gar nichts, außer dass seine Platte zu drehen anfing wie verrückt. Scheiße, dachte er, Virus. Aber dann baute sich langsam, ganz langsam der Schirm neu auf: Arbeitsspeicher und Videosystem waren proppenvoll. Wes' Workstation war nicht gerade von gestern, und er hielt sie top in Schuss. Aber CCONTR-LPP war enorm hungrig. Wes wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    Als das Bild vollständig erschienen war, fragte er sich, ob er träumte. Er sah ein dreidimensionales Gitternetz aus metallischen Würfeln, deren Oberflächen in blassen Regenbogenfarben irisierten, als seien sie von einem dünnen Ölfilm überzogen. Der Blick fiel ins Unendliche. Würfelebene schloss sich an Würfelebene an, bis sich alles im Perspektivenschnittpunkt verlor. Die Würfel waren untereinander durch erstaunlich biotisch wirkende Schläuche von unterschiedlicher Farbe verbunden. Manche davon sahen eher wie Blutgefässe aus; Wes stellte sich vor, bei höherer Auflösung würden in den feinsten Kapillaren die Thrombozyten sichtbar. Wo die Verbindungsschläuche in die Würfelkörper eintraten, zerbrachen die beweglichen Regenbogenfarbmuster zu gekräuselten Interferenzen, als habe jemand einen Stein in einen Teich geworfen und einen zweiten hinterher, so dass sich die Wellen gegenseitig in die Quere kamen.
    Heilige Scheiße, dachte Wes. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was das Ganze sollte. Was hieß hier »höhere Auflösung«? Das Ganze war so schon die beste Bildschirmprojektion, die er je gesehen hatte. Irgendjemand hatte massive Fortschritte in der 3D-Video-Programmierung erzielt und sie der Welt vorenthalten.
    Wer machte so was? Das Militär machte so was. In seiner Zeit bei der Army hatte er die paranoide Gedankenwelt der Militärs gut kennen gelernt. Teilweise hatte er sie verstehen können, weil auch er paranoid war – wenn auch nicht kriegs- sondern computerparanoid. Ihm war damals eine Menge Hard- und Software untergekommen, über die er öffentlich immer noch nicht reden durfte, und das hier, so spürte Wes, war vom gleichen Kaliber. Irgendeine Armee benutzte die Server von Sealand für ein paar abgelegene Experimente, und zwar eine Armee mit einer Menge Kleingeld für diskrete Rüstungsprogramme. Und er, Wes, hatte das herausgefunden. Na prima. Wenn diese Armee das bemerkte, würde es richtig lustig werden. Die Stimme der Vernunft in seinem Schädel riet ihm dringend, seinen Rechner neu zu starten, einen Kaffee und zwei Sandwiches zu holen und die letzte halbe Stunde einfach aus seinem Gedächtnis zu löschen, genauso wie jede denkbare Spur seiner Manipulationen. Aber Wes war viel zu neugierig. Jetzt noch nicht, dachte er. Die Mittagspause dauerte noch zehn Minuten, und so lange wollte er seine Zauberlampe schon noch streicheln.
    Wes wollte den Systemmonitor öffnen, um einen Überblick über die Auslastung seines Computers zu bekommen, aber der Systemmonitor weigerte sich zu starten. Die Würfelsimulation nahm sich schlichtweg ALLES, was die Workstation von Wes zu bieten hatte, und war trotzdem schneckenlangsam. Wes kannte kein konventionelles, öffentlich verfügbares Anwendungsprogramm, das diesen Effekt auf seinem Rechner hätte hervorrufen können. Militär, dachte er. Eindeutig Militär. Als er seine Versuche mit dem Systemmonitor aufgab, glitt ein Lichtkegel sehr langsam auf einen bestimmten

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