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PolyPlay

PolyPlay

Titel: PolyPlay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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glatt. Zum Glück gab es in diesem Zimmer keinen Spiegel.
    Als er die Tür öffnete, trat er beinahe in die Untertasse hinein, die auf dem Flurteppich stand. Kramer hob sie auf und klaubte das Wechselgeld heraus: 25 Mark. Er hatte keine Ahnung, warum fünf Mark fehlten, aber das war ihm zunächst egal. Auf dem Weg zum Speisezimmer kam er an einem kleinen Tisch vorbei, auf dem ein paar Zeitschriften ausgelegt waren. Zwei niedrige Stühle standen davor: Offensichtlich sollte das dürftige Arrangement eine Leseecke darstellen. Warum ihn das überhaupt interessierte, hätte er nicht sagen können. Das erste Heft, das er vom Stapel nahm, trug den Titel: Die Hochzeit. Offenbar handelte es sich um den Katalog eines Hochzeitsausstatters: Kleider, Ringe, Geschenke, alles war im Angebot. Geistesabwesend blätterte Kramer das Heft durch, bis er auf das Foto einer Braut traf, die genau wie Anette am Hochzeitstag aussah. Die Ähnlichkeit war erschreckend. Kramer stiegen Tränen in die Augen. Er warf das Heft auf den Tisch zurück, und weil es zu viel Schwung hatte, fiel es herunter. Kleine Programmänderung. Er ging in sein Zimmer zurück und weinte dort, wie er seit dem Tod seiner Mutter nicht mehr geweint hatte.
     
    »Mann, siehst du Scheiße aus«, sagte Pasulke. Es klang mitfühlend. Nicht mal gegrüßt hatte er.
    »Anette fickt mit Akkermann«, sagte Kramer. Er sagte es durch die trockenen Schrippenkrümel hindurch, die er in seinem Mund zu einem pappigen Brei zermahlte. Frühstück für Gehörnte.
    »Was?« Pasulke blieb der Mund offen stehen.
    »Wenn ich's dir doch sage. Ich hab die zwei gestern erwischt. Vor der Wismut. Auf der Straße. Ham geknutscht wie die Weltmeister. Er hat sie … hat sie angefummelt.«
    Was ein Glück, dass er die Schrippe hatte, um darauf herumzukauen. Sonst hätte er wahrscheinlich angefangen zu weinen.
    »Nee!«
    »Doch.«
    »Akkermann?«
    »Ja.«
    Pasulke sah ihn kurz zweifelnd an, aber Kramers Gesicht war offenbar verwüstet genug, um die Geschichte glaubwürdig erscheinen zu lassen.
    »Mann«, sagte Pasulke. »Mann.«
    Kramer war mit seiner ersten Schrippe fertig und wischte sich völlig überflüssigerweise die Hände ab, bevor er sich über die zweite hermachte. Er nahm noch einen Schluck Kaffee.
    »Das is ja …«, fing Pasulke kopfschüttelnd an. »Also das …! Wenn du eine Zeitlang bei Sabine und mir wohnen wills –«
    Kramer musste fast lachen. Das fehlte noch. Der waidwunde Gehörnte schlüpft bei seinem Kollegen unter, um sich ein halbwegs funktionierendes Eheleben anzuschauen.
    »Is lieb gemeint«, sagte Kramer gequält. »Aber ich hab da eine Pension in Moabit.«
    »Ach so«, sagte Pasulke und tat, als sei eine Pension in Moabit eine echte Alternative zu seinem Eigenheim in Hohenschönhausen.
    »Wenn du … nur 'ne Zeitlang …«, sagte Kramer. »Weißte, ich bin jetz nich so aufm Damm. Wir hatten da diesen Totschlag in der Storkower Straße. Kannst du das für mich machen? 'ne Zeitlang? Wir sagen nix zum Chef. Urlaub bringt mir nix, da dreh ich durch. Aber so richtig arbeitsfähig … fühl ich mich auch nich. Weißte, was ich meine?«
    »Klar.« Pasulkes Gesicht hellte sich auf.
    Kramer dachte: Die treue Seele. Kaum kann er mir helfen, geht's ihm schon besser.
    »Klar, machen wir. Lobedanz brauch's ja nich wissen.«
    »Danke«, sagte Kramer und schluckte.
    Pasulke winkte ab, bevor er die Bürotür hinter sich schloss. Nicht der Rede wert. Kramers Mund war so trocken, er bekam diese verdammte Schrippe nicht runter. Was er im Mund hatte, spuckte er ins Waschbecken, den Rest warf er in den Papierkorb. Dann setzte er sich an den Computer, um Polyplay zu spielen.
     
    Nach Dienstschluss fuhr er nach Hause. Halb erwartete er, Anette und Akkermann in seinem Ehebett vorzufinden, obwohl er wusste, dass das eine Wahnphantasie der Eifersucht war. Oder doch nicht? Als er die Tür aufschloss, lauschte er auf Stimmen. Seine Pistole hatte er sicherheitshalber in seinem Schreibtisch auf der Inspektion gelassen.
    Niemand da. Er hatte seine Siebensachen schnell beisammen: Zahnbürste, ein paar Klamotten, drei, vier Bücher – was ein Gefangener so braucht. Er spielte kurz mit dem Gedanken, einen Zettel auf dem Küchentisch zu hinterlassen, eine Nachricht, aber ihm fiel kein passender Text ein. Den Türgriff schon in der Hand hielt er inne: Er hatte das blaue Kästchen von der Späthbrücke vergessen. Allerdings war es nicht dort, wo er es hingetan hatte. Hinter den gestapelten alten Zeitungen

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