PolyPlay
(Akkermann war schuld.) Akkermann, Akkermann, Akkermann! Hatte hinter all dem gestanden! Vor allem hinter seiner Frau! »Von hinten«, heulte Kramer in seinem Auto. Er wusste, wo Akkermann wohnte. Er dachte ein paarmal daran hinzufahren und es ihm von hinten zu besorgen, durch den Hinterkopf. Dann dachte er wieder: wie kindisch. Was bist du denn für ein Höhlenmensch? Deine Frau fickt einen andern, und du denkst an Mord.
Trotzdem wusste er, dass er nicht nach Hause fahren konnte. Er wäre zu sehr versucht gewesen, Anette zu demütigen, sich an ihr zu rächen, sie für ihre Treulosigkeit zu bestrafen. Nicht, dass er nicht öfters an andere Frauen gedacht hatte. Es gab Tage, da sah Kramer jedem Paar hübscher Beine hinterher, das auf der Straße an ihm vorbeilief. Ja und? Er hatte manchmal ein bisschen geflirtet, er hatte am 1. Juli beim Polizeiball bemerkt, dass auch andere Mütter schöne Töchter hatten, aber er hatte nie, nie, nie zugegriffen. Anette schon. Die Schlampe. Die Drecksau.
Irgendwann mitten in der Nacht hielt er in einer Seitenstraße irgendwo in Moabit, weil er sich daran erinnerte, dass es hier eine kleine private Pension gab. Er brauchte ein Bett. Die schadhafte Neonröhre über dem Eingang blinkte unregelmäßig: Pension Aurora. Die ältliche Pensionswirtin machte schimpfend das Fenster im ersten Stock auf, nachdem er drei Minuten Sturm geklingelt hatte.
»Dit jloob ick ja nich! Wat is 'n dette? Sie! Sahren Se ma, sind Se vom wilden Affen jebissn? Sind Se besoffen? Wissen Se übahaupt, wie spät dit is? Viertel vor zwe!«
»Deutsche Volkspolizei«, sagte Kramer im sachlichsten Tonfall, der ihm möglich war, und hielt dazu seinen Ausweis in die Luft. Er wusste nicht einmal, ob die Frau den Ausweis erkennen konnte. »Ich bin in einer Ermittlung begriffen und muss hier übernachten.«
Das klang nun völlig daneben. Aber nach einer kurzen Pause schloss die Frau das Fenster und kam die Treppe zum Hauseingang heruntergeschlurft. Sie öffnete die Tür nur einen Spalt weit und hielt sich mit der Hand den Kragen ihres geblümten Bademantels zu. Kramer sah aus den Augenwinkeln, dass ein Mann, der sich an einer Straßenlaterne festhielt, die Szene interessiert betrachtete, schwankend und murmelnd. Der war wirklich besoffen.
»Ausweis!«, knarzte die Alte. Sie zückte eine große Taschenlampe und leuchtete dann abwechselnd den Ausweis und Kramers Gesicht an.
Alle Achtung, dachte Kramer, trotz seines Elends amüsiert. Das hätten die Grenzer im Tränenpalast auch nicht besser gekonnt.
»Vorkasse«, sagte die Wirtin. »Ick lass mer nich lumpen, ooch nich vom Arbeiter- un Bauernstaat.«
»In Ordnung«, antwortete Kramer schwach.
»Fuffzich Mahk ohne, siebzich mit.«
Kramer fummelte seinen Geldbeutel heraus und gab ihr einen Hunderter. »Mit« meinte hoffentlich mit Frühstück.
»Hab nüscht zum Wechseln. Dit Restjeld jibbet morjn.«
Als er eingetreten war, schloss sie die Tür hinter ihm umständlich ab. Sie ließ ihn im dunklen Gang stehen (»Wartnse hier ma«) und kam nach fünf Minuten mit dem Zimmerschlüssel zurück. Im dämmerigen Licht einer zu schwachen Glühbirne stiegen sie die enge Treppe in den ersten Stock hinauf. Das Zimmer war winzig und enthielt nichts außer einem Bett, einem Stuhl und einem Tisch. Kramer war alles egal.
»Ditse mir nur nich späta als 8.30 Uhr frühstücken wollen!«, zischte ihm die Alte ins Ohr. Ihr Atem roch nach Zwiebeln. »Dusche is uffm Jang, dahintn. Na denn. Jute Ermittlung wünsch ick ooch.«
Sie schlurfte weg. Kramer warf sich aufs Bett. Fünf Minuten später begann ein Paar neben ihm zu vögeln, dass die Wände wackelten. Kramer überlegte ernsthaft, ob er sich in sein Auto zurückziehen sollte. Um drei Uhr morgens schlief er endlich ein. Er hatte nicht einmal seine Schuhe ausgezogen.
Der Lärm des Autoverkehrs drang durch das angelehnte Fenster. Bevor Kramer nachprüfen konnte, wie spät es war, sank die Erinnerung an den vergangenen Abend in ihn ein wie ein Bleigewicht. Sofort stellten sich mörderische Kopfschmerzen ein. Er bemerkte, dass er noch angezogen war. Die Zimmerdecke war nicht mehr gestrichen worden, seit ihr ein massiver Wasserschaden seine sepiabraunen Kränze aufgemalt hatte. Kramer wollte überhaupt nicht mehr aufstehen. Dann rappelte er sich doch hoch. 8:11 Uhr. Vielleicht würde er noch zu einer Marmeladenschrippe kommen, bevor er entschied, was mit seinem Leben weiterhin geschehen sollte. Pro forma strich er sich die Kleider
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