PolyPlay
in der Abstellkammer tastete er ins Leere. Er durchsuchte die ganze Wohnung, von Minute zu Minute aufgeregter, eine halbe Stunde lang, eine ganze. Zum Schluss suchte er mit der Anspannung eines Polizisten, der in einer knapp bemessenen Zeitspanne ein Beweisstück aufzustöbern hat. An der Polizeihochschule hatten sie manchmal so gesucht, und der Ausbilder hatte mit der Stoppuhr daneben gestanden. Was er auch tat, das blaue Kästchen blieb verschwunden. Irgendjemand hatte es weggenommen. Am Ende saß er verschwitzt und erschöpft auf der Wohnzimmercouch und sagte: »Leck mich am Arsch.« Beim Gehen knallte er wütend die Tür ins Schloss.
In der Pension rasierte er sich den Schnauzbart ab, den er zwanzig Jahre lang getragen hatte. Danach kam er sich nackt vor und fand das nur richtig.
Am nächsten Tag kam Anette zu Besuch. Er hatte die Inspektion schon um vier verlassen, weil er einfach nicht länger Polyplay spielen konnte, und hatte sich ein wenig in das stinkende, altersschwache Bett gelegt, wiederum in seinen Kleidern. Er wusste nicht, woran es lag, aber irgendwie merkte er im Schlaf, dass außer ihm noch jemand im Zimmer war. Als er die Augen öffnete, stand Anette neben dem Bett und sah mit einem eigenartig unbeteiligten Blick auf ihn herab. Er setzte sich ruckartig auf.
»Anette!«
»Rüdiger.«
Kramer war schon dabei, auf sie zuzugehen, um sie in die Arme zu schließen, da erinnerte er sich daran, dass seine Ehe vorbei war. Sie setzte sich auf den wackligen Stuhl in der Ecke beim Fenster und schlug ihre langen Beine übereinander. Kramer ordnete sein Hemd. Er fühlte sich plötzlich schuldig. Wie unter Anklage.
»Was machst du hier?«, fragte sie kühl.
»Siehst du doch. Wohnen.«
»Es gäbe da eine Wohnung am Prenzlauer Berg.«
»Da will ich aber nicht mehr hin. Weil du mit Akkermann ein Verhältnis hast.« Eine Intuition rastete in seinem Kopf ein. »Der dir wahrscheinlich auch erzählt hat, wo du mich findest.«
Anette schüttelte den Kopf. »Ich hab geglaubt, ich kenn dich besser. Ich dachte, du wärst rationaler. Souveräner. Aber du drehst völlig durch, weil ich einen Geliebten habe.«
Kramer blinzelte. Er dachte, er höre schlecht. Machte Anette ihm tatsächlich Vorwürfe? Wagte sie das wirklich? Es klang ganz danach.
»Wie man sich täuschen kann«, sagte er so ruhig wie möglich, während eine namenlose Wut in seinen Eingeweiden kochte. »Aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich über meine Rationalität diskutieren will. Ich bräuchte viel eher eine Erklärung von dir.«
»Wofür? Dass ich mit einem anderen Mann ins Bett gehe? Unsere Ehe ist seit Jahren am Ende, oder? Und jetzt sollte man meinen, dass du in der Lage bist, mit dieser Tatsache zu leben und einen geordneten Abgang hinzulegen. Stattdessen diese pubertären Eskapaden.«
Ein grauer Nebel zog vor Kramers Augen auf. In seiner Kehle schien ein faustgroßer Klumpen Eisenwolle zu stecken.
»Seit Jahren am Ende? Das ist das Erste, was ich davon höre. Da hast du ja tapfer geschwiegen. Jahrelang.«
»Männer!«, gab sie zurück. »Euch muss man alles auf dem Silbertablett präsentieren, damit ihr es begreift. Meinst du, dass ich aus Spaß immer so lang arbeiten war? Ich habe mich gelangweilt! Im Büro konnte ich wenigstens etwas Sinnvolles tun. Diese ewigen Fernsehabende. Das war doch furchtbar! Hast du das nicht gemerkt?«
Sie schrie ihn an. Sie schrie ihn tatsächlich an.
»Und dann kam der liebe Akkermann und hat dir die einsamen Überstunden im Büro versüßt. Was ein Glück, dass es noch so aufmerksame Menschen gibt, die einer armen Frau auf die Sprünge helfen, wenn sie in Not ist.«
»Das jetzt also auch noch. Primitive Eifersucht. Langsam wundert mich gar nichts mehr.«
Kramer war sprachlos. Es musste irgendeine einstudierte Rolle sein, die Anette da spielte, anders konnte er sich das nicht erklären. Sie hatte diese Begegnung ausgiebig geübt und sich für Angriff statt Verteidigung entschieden. Kramer hatte das oft bei Verdächtigen gesehen, die nichts mehr zu verlieren hatten und so gut wie überführt waren. Aber noch niemand hatte so eiskalt dabei gewirkt wie die Frau, mit der er seit zehn Jahren verheiratet war.
»Ich bin schwanger«, sagte sie. »Frank und ich haben uns entschieden, das Kind zu behalten.«
»Ach«, sagte Kramer, weil ihm nichts anderes dazu einfiel. Und dann lachte er. Ein staubtrockenes Lachen der verzweifelten Verblüffung, des Schocks, des Unverständnisses. Es klang in seinen
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