Pompeji
der Wasserbaumeister. Und wenn sich herausstellte, dass es sein letzter guter Tropfen war? Auch gut: Es war ein angemessener Wein für das Ende.
Als er verkündete, dass er jetzt zu Bett ginge, konnte er sehen, dass alle das für einen Scherz hielten. Aber nein, versicherte er ihnen, es war ihm völlig ernst damit. Er hatte sich die Fähigkeit beigebracht, jederzeit einschlafen zu können, sogar aufrecht, im Sattel, in einem eiskalten Wald in Germanien. Das hier dagegen? Das war gar nichts. »Deinen Arm, Aquarius, wenn du so freundlich sein willst.« Plinius wünschte allen eine gute Nacht.
Attilius hielt eine Fackel mit der einen Hand in die Höhe, mit der anderen stützte er den Befehlshaber. Zusammen traten sie hinaus in den zentralen Innenhof. Plinius hatte im Laufe der Jahre oft hier übernachtet. Es war einer seiner Lieblingsorte: das durchbrochene Licht auf den rosa Steinen, der Blütenduft, das Gurren der Tauben in ihrem in die Mauer über der Veranda eingelassenen Schlag. Aber jetzt war der Garten stockfinster und bebte unter dem Prasseln der Steine. Bimsstein war in den überdachten Gang eingedrungen, und aus dem trockenen und spröden Gestein aufsteigende Staubwolken verschlimmerten sein Keuchen. Er blieb vor der Tür seines üblichen Zimmers stehen und wartete darauf, dass Attilius das Geröll wegräumte, damit sie sich öffnen ließ. Was wohl aus den Vögeln geworden war? Waren sie davongeflogen, bevor die Manifestation begann, und hatten damit ein Vorzeichen geliefert, sofern ein Augur zur Hand gewesen wäre, der es deutete? Oder waren sie irgendwo da draußen in der finsteren Nacht, zerschmettert oder zusammengekauert? »Hast du Angst, Marcus Attilius?«
»Ja.«
»Das ist gut. Um tapfer sein zu können, muss man zuerst Angst haben.« Er legte dem Wasserbaumeister die Hand auf die Schulter, während er seine Schuhe abstreifte. »Die Natur ist eine gnädige Gottheit«, sagte er. »Ihre Wut dauert nie ewig. Das Feuer erlischt. Der Sturm bläst sich selber aus. Die Fluten weichen zurück. Und auch das hier wird enden. Du wirst es erleben. Sieh zu, dass du etwas Ruhe bekommst.«
Er schlurfte in den fensterlosen Raum. Attilius machte die Tür hinter ihm zu.
Der Wasserbaumeister blieb, wo er war. Er lehnte sich an die Mauer und beobachtete den Bimssteinhagel. Nach einer Weile drang lautes Schnarchen durch die Schlafzimmertür. Erstaunlich, dachte er. Entweder tat Plinius nur so, als schliefe er – was er bezweifelte –, oder der alte Mann war tatsächlich eingenickt. Er warf einen Blick zum Himmel. Vermutlich hatte Plinius Recht, und die »Manifestation«, wie er das Geschehen nach wie vor nannte, würde allmählich nachlassen. Aber noch war es nicht so weit. Im Gegenteil: Der Hagel schien eher noch heftiger zu werden. Das herabstürzende Gestein erzeugte jetzt ein andersartiges, härteres Geräusch, und der Boden unter seinen Füßen bebte, wie er es in Pompeji getan hatte. Er tat einen vorsichtigen Schritt unter der Überdachung hervor, wobei er die Fackel auf den Boden richtete, und verspürte sofort einen so heftigen Schlag auf den Arm, dass er die Fackel beinahe fallen gelassen hätte. Er hob einen der Brocken des frisch gefallenen Gesteins auf. Dann drückte er sich wieder gegen die Wand und betrachtete den Stein im Licht der Fackel.
Er war grauer als der frühere Bimsstein – dichter, größer, als wären mehrere Stücke zusammengeschweißt worden –, und er prasselte mit größerer Gewalt auf den Boden. Der Schauer aus schaumigem weißem Gestein war unangenehm und beängstigend gewesen, aber nicht sonderlich schmerzhaft. Ein Brocken wie dieser hier war dagegen imstande, einen Menschen bewusstlos zu schlagen. Wie lange ging das schon so?
Er trug den Brocken in die Diele und zeigte ihn Torquatus. »Es wird schlimmer«, sagte er. »Während wir beim Essen saßen, sind die Steine schwerer geworden.« Und dann, zu Pomponianus: »Was für Dächer habt ihr hier? Flache oder steile?«
»Flache«, sagte Pomponianus. »Sie bilden Terrassen – wegen der Aussicht über den Golf.«
Ach ja, dachte Attilius – die berühmte Aussicht. Wenn sie weniger Zeit damit verbracht hätten, auf die See hinauszuschauen, und den Blick stattdessen öfter auf den Berg hinter ihnen gerichtet hätten, wären sie vielleicht besser vorbereitet gewesen. »Und wie alt ist dieses Haus?«
»Es ist schon seit Generationen im Besitz meiner Familie«, sagte Pomponianus stolz. »Warum?«
»Es ist nicht sicher. Die
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