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Pompeji

Pompeji

Titel: Pompeji Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Gosse. Der riesige Vollmond und hier und dort eine Straßenbeleuchtung – auch eine seiner Neuerungen – wiesen ihm den Heimweg deutlich genug. Aber es waren nicht nur die Gebäude von Pompeji, die er kannte. Es waren auch seine Bewohner und das mysteriöse Wirken seiner Seele, besonders bei Wahlen: In jedem der fünf Bezirke – Forenses, Campanienses, Salinienses, Urbulanenses, Pagani – hatte er einen Agenten; und auch auf die Handwerksgilden – die Wäscher, die Bäcker, die Fischer, die Parfümmischer, die Goldschmiede und alle anderen – hatte er Einfluss. Sogar die Hälfte der Verehrer der Isis konnte er als Stimmenblock aufbieten. Und als Belohnung dafür, dass er irgendeinem von ihm ausgewählten Tölpel den Weg ins Amt geebnet hatte, erhielt er all die Erlaubnisse und Bewilligungen, Baugenehmigungen und für ihn günstigen Urteile in der Basilica, die die unsichtbare Währung der Macht waren.
    Er stieg den Hügel hinab zu seinem Haus – seinen Häusern, sollte er eigentlich sagen – und blieb einen Augenblick stehen, um die Abendluft zu genießen. Er liebte diese Stadt. Am frühen Morgen konnte sich die Hitze drückend anfühlen, aber in der Regel tauchte schon bald aus Richtung Capri eine dunkelblaue Dünung auf, und um die vierte Stunde wehte eine Meeresbrise über die Stadt und ließ die Blätter rascheln. Für den Rest des Tages roch Pompeji dann so süß wie ein Frühlingstag. Gewiss, wenn es so heiß und windstill war wie heute Abend, beschwerten sich die feineren Leute, dass die Stadt stank. Aber ihm war es fast lieber, wenn die Luft schwerer war – die Pferdeäpfel auf den Straßen, der Urin der Wäschereien, die Fischsoßen-Küchen unten am Hafen, der Schweiß von zwanzigtausend innerhalb der Stadtmauern zusammengepferchten Leibern. Für Ampliatus war das der Geruch des Lebens: von Arbeit, Geld, Profit …
    Er ging weiter, und als er seine Haustür erreicht hatte, trat er unter die Laterne und klopfte laut. Es machte ihm immer noch Freude, durch die Tür einzutreten, die ihm als Sklave verboten gewesen war, und er belohnte den Pförtner mit einem Lächeln. Er war so gut gelaunt, dass er sich umdrehte, als er den Vorraum zur Hälfte durchquert hatte, und sagte: »Kennst du das Geheimnis eines glücklichen Lebens, Massavo?«
    Der Pförtner schüttelte seinen riesigen Kopf.
    »Sterben.« Ampliatus versetzte ihm einen spielerischen Schlag auf den Bauch und zuckte zusammen; es war, als schlüge man auf Holz. »Sterben und dann ins Leben zurückkehren und jeden Tag als Sieg über die Götter feiern.«
    Ampliatus fürchtete sich vor nichts und niemandem. Und der Witz war, dass er bei weitem nicht so reich war, wie jedermann annahm. Die Villa in Misenum zum Beispiel – zehn Millionen Sesterzen, aber er hatte sie einfach haben müssen! – hatte er mit geliehenem Geld bezahlt, das er in erster Linie auf dieses Haus aufgenommen hatte, und auch das war mit einer Hypothek auf die Bäder bezahlt worden, welche noch nicht einmal fertig gestellt waren. Dennoch hielt Ampliatus alles irgendwie durch seine Willenskraft am Laufen, durch Gerissenheit und das Vertrauen der Öffentlichkeit, und wenn dieser Narr Lucius Popidius glaubte, er bekäme seinen alten Familiensitz zurück, sobald er Corelia geheiratet hatte – nun, er hätte einen guten Anwalt zurate ziehen sollen, bevor er die Vereinbarung unterschrieb.
    Als er das von Fackeln erhellte Schwimmbecken passierte, blieb er stehen und betrachtete den Springbrunnen. Der Sprühnebel des Wassers vermischte sich mit dem Duft der Rosen, aber noch während er hinschaute, hatte er den Eindruck, dass das Wasser seine Kraft zu verlieren begann, und er dachte an den ernsthaften jungen Aquarius, der irgendwo dort draußen in der Dunkelheit versuchte, den Aquädukt zu reparieren. Er würde nicht zurückkehren. Es war ein Jammer. Sie hätten zusammen Geschäfte machen können. Aber er war ehrlich, und Ampliatus' Motto war schon immer gewesen: »Mögen uns die Götter vor einem ehrlichen Mann beschützen.« Vielleicht war er sogar schon tot.
    Die Schlaffheit der Fontäne begann ihn zu beunruhigen. Er dachte an die silbrigen Fische, die in den Flammen zischten und hochsprangen, und versuchte, sich die Reaktionen der Leute vorzustellen, wenn sie feststellten, dass der Aquädukt versiegte. Natürlich würden sie Vulkan die Schuld daran geben, diese abergläubischen Narren. Das hatte er nicht bedacht. In diesem Fall wäre morgen vielleicht der rechte Zeitpunkt, endlich die

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