Poor Economics
Und wenn diese nicht billig zu haben sind, ist es immer eine Frage des Geldes. Bei der medizinischen Versorgung stehen wir vor einer doppelten Herausforderung: Die Medikamente müssen bezahlbar sein (Ibu Emptat zum Beispiel konnte sich die Asthmamittel für ihren Sohn definitiv nicht leisten), gleichzeitig sollte der Zugang zu bestimmten Medikamenten eingeschränkt werden, damit sich die Resistenzen nicht weiter ausbreiten. Da die meisten Regierungen in Entwicklungsländern offenbar nicht in der Lage sind zu regeln, wer sich »Doktor« nennen und eine Praxis eröffnen darf, kann die Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen und der Missbrauch
starker Arzneimittel wahrscheinlich nur begrenzt werden, indem man den Verkauf dieser Medikamente streng kontrolliert.
Das klingt ziemlich bevormundend und ist es in gewisser Weise sicher auch. Aber man macht es sich zu leicht, viel zu leicht, wenn man vom heimischen Sofa aus, mit den Bequemlichkeiten einer funktionierenden Wasser- und Gesundheitsversorgung im Rücken, über das Übel der Entmündigung und die Notwendigkeit, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, philosophiert. Profitieren wir im reichen Westen nicht ständig von den Vorteilen einer Bevormundung, die so allgegenwärtig ist, dass wir sie kaum bemerken? Sie sorgt nicht nur dafür, dass wir besser auf uns achtgeben, als wir es täten, wenn wir jede einzelne Entscheidung selbst treffen müssten, sie befreit uns auch davon, ständig über diese Dinge nachdenken zu müssen; dadurch erhalten wir geistigen Freiraum, in dem wir uns auf andere Aspekte des Lebens konzentrieren können. Natürlich enthebt uns das nicht der Verantwortung, die Menschen über Sinn und Zweck von Gesundheitsvorsorge aufzuklären. Wir schulden jedem, auch jedem Armen, eine verständliche Erklärung, warum Impfen wichtig ist und weshalb Antibiotika über eine ganz bestimmte Zeit genommen werden müssen. Aber wir müssen einsehen, dass Information nicht alles ist. Das gilt für die Armen ebenso wie für uns.
4 Von Schulen und Klassen
Im Sommer 2009 trafen wir in Naganadgi, einem Dorf im indischen Bundesstaat Karnataka, eine vierzigjährige Witwe mit sechs Kindern. Shantaramas Ehemann war vier Jahre zuvor völlig überraschend an einer Blinddarmentzündung gestorben. Er besaß weder eine Lebensversicherung noch Rentenansprüche, die seiner Familie hätten zugutekommen können. Die drei ältesten Kinder waren bis zur achten Klasse zur Schule gegangen, doch die nächsten beiden, ein vierzehnjähriges Mädchen und ein zehnjähriger Junge, hatten die Schule abgebrochen. Das Mädchen arbeitete bei Nachbarn auf dem Feld. Wir vermuteten, dass die Familie die Kinder wegen des Todes des Vaters von der Schule genommen und zum Arbeiten geschickt hatte.
Aber Shantarama belehrte uns eines Besseren. Nach dem Tod ihres Mannes hatte sie ihre Felder verpachtet und angefangen, sich als Gelegenheitsarbeiterin zu verdingen. Sie verdiente genug, um die Familie mit dem Notwendigsten zu versorgen. Sie hatte ihre Tochter tatsächlich aufs Feld geschickt, aber erst nachdem diese die Schule abgebrochen hatte, und sie nicht wollte, dass sie nur daheim herumhing. Die anderen Kinder gingen weiter zur Schule, von den drei ältesten Kindern studierten zwei (die älteste Tochter war 22 Jahre alt, verheiratet und erwartete ihr erstes Kind). Der älteste Sohn, so erfuhren wir, ging in Yatgir, der nächstgelegenen Stadt, aufs College und wollte Lehrer werden. Die beiden mittleren Kinder besuchten nur deshalb die Schule nicht mehr, weil sie partout nicht wollten. In der näheren Umgebung des Dorfes befanden sich mehrere Schulen, darunter eine staatliche und einige private. Diese beiden Kinder waren in
der staatlichen Schule angemeldet, aber sie hatten den Unterricht so oft geschwänzt, dass ihre Mutter irgendwann die Hoffnung aufgab, sie noch zum Schulbesuch bewegen zu können. Als wir das Interview mit Shantarama führten, saß der Junge neben seiner Mutter und murmelte so etwas wie »Schule ist langweilig«.
Es gibt genug Schulen, und in den meisten Ländern ist der Schulbesuch zumindest in der Primarstufe kostenlos. Die meisten Kinder werden auch in der Schule angemeldet, aber die Fehlzeiten, die wir in verschiedenen Studien rund um den Globus untersucht haben, liegen zwischen 14 und 50 Prozent. 1 Doch der Grund für das Fehlen ist offenbar nur selten, dass die Kinder zu Hause gebraucht werden. Manchmal spielen gesundheitliche Probleme eine Rolle – in Kenia zum
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