Poor Economics
Kinder seltener krank sind, wenn sie ein Moskitonetz verwenden. Außerdem könnte sie feststellen, dass die Benutzung eines Moskitonetzes keineswegs so umständlich und unangenehm ist, wie sie vielleicht zunächst dachte. Pascaline Dupas testete diese Vermutung in einem Experiment: Sie versuchte, Familien, die zuvor ein Moskitonetz umsonst oder zu sehr niedrigem Preis erhalten hatten, ein zweites zu verkaufen. Die zweite Gruppe bestand aus Familien, denen das erste Netz zum regulären Preis angeboten worden war und die in der Regel keines erworben hatten. 41 Frau Dupas stellte fest, dass die Familien, die ein kostenloses oder subventioniertes Netz bekommen hatten, mit höherer Wahrscheinlichkeit ein zweites Netz kauften als die Familien, denen man schon beim ersten Netz den vollen Preis abverlangt hatte. Außerdem zeigte sich, dass sich Wissen ausbreitet: Freunde und Nachbarn derjenigen, die ein kostenloses Netz besaßen, waren ebenfalls geneigter, sich eines zu kaufen.
Vom heimischen Sofa aus betrachtet
Die Armen scheinen mit denselben Problemen zu kämpfen zu haben wie alle anderen auch: Informationsmangel, schwache Überzeugungen und dazu ein Hang zum Aufschieben. Es stimmt zwar, dass wir weniger Arme eine etwas bessere Schulbildung genossen haben und mehr Informationen erhalten, aber im Endeffekt ist der Unterschied gering, denn wenn man’s genau nimmt –, wissen auch wir nur sehr wenig, auf jeden Fall weniger als wir glauben.
Unser ganz großer Vorteil sind all die Dinge, die wir für selbstverständlich halten. Wir bekommen Trinkwasser über Rohrleitungen direkt ins Haus geliefert, keiner muss daran denken, morgens Chlor in den Wasserbehälter zu schütten. Das Abwasser verschwindet einfach, meist wissen wir gar nicht, wie und wohin. Wir können uns im Großen und Ganzen darauf verlassen, dass unsere Ärzte das Menschenmögliche tun und dass unser Gesundheitssystem die richtigen Ratschläge für uns bereithält. Wir müssen unsere Kinder impfen lassen (zumindest in den USA), sonst weigern sich die öffentlichen Schulen, sie aufzunehmen. Und selbst wenn es uns irgendwie gelingt, um die Impfung herumzukommen, sind unsere Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit geschützt, weil alle anderen Kinder geimpft sind. Die Krankenkassen belohnen uns, wenn wir uns beim Fitnessstudio anmelden, weil sie befürchten, dass wir es sonst nicht tun würden. Und – vielleicht am wichtigsten – die meisten von uns müssen sich keine Gedanken darüber machen, wie sie die nächste Mahlzeit beschaffen. Mit anderen Worten, wir müssen nur selten auf unser beschränktes Talent zur Selbstkontrolle und unsere Entschlussfreudigkeit zurückgreifen, während die Armen ständig dazu gezwungen sind.
Wir sollten anerkennen, dass niemand weise und geduldig genug ist (und allwissend schon gar nicht), um voll verantwortlich die richtigen Entscheidungen für seine Gesundheit zu treffen. Die Menschen in den reichen Ländern leben in einer Umgebung
voller unsichtbarer Anstöße von außen. Aus diesem Grund sollte es das vordringlichste Ziel einer Gesundheitspolitik in armen Ländern sein, Vorsorgemaßnahmen für die Armen so leicht erreichbar wie möglich zu machen; gleichzeitig muss die Qualität der Heilbehandlungen verbessert werden. Beginnen sollte man zweifellos damit, Vorsorgeleistungen kostenlos anzubieten, da deren Akzeptanz stark vom Preis abhängt, auch Belohnungsanreize sind denkbar. Sinnvoll ist es, die Vorsorgeleistungen – wann immer möglich – als Standardlösung einzurichten. Man sollte Chlorspender in der Nähe von Brunnen aufstellen, Eltern sollten für die Impfung ihrer Kinder belohnt werden, Kinder sollten in den Schulen kostenlos Wurmmittel und Nahrungsergänzungen erhalten, und der Staat sollte in die Verbesserung der Wasserversorgung und der sanitären Einrichtungen investieren, zumindest in den dicht bevölkerten Regionen.
Diese Investitionen ins öffentliche Gesundheitswesen werden sich am Ende mehr als auszahlen – in Form von weniger Krankheits- und Todesfällen und in höheren Löhnen. Kinder, die seltener krank sind, gehen länger zur Schule und verdienen als Erwachsene mehr. Trotzdem können wir nicht davon ausgehen, dass all das automatisch, ohne Intervention geschieht. Unzureichende Informationen über den zu erwartenden Nutzen und die starke Fixierung der Menschen auf den Augenblick schränken ihre Bereitschaft ein, Geld und Mühe aufzuwenden, selbst wenn die Vorsorgemaßnahmen nur sehr wenig kosten.
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