Poor Economics
UN-Millenniumsziele, aber auch hier sind Fortschritte zu verzeichnen. Zwischen 1995 und 2008 stieg die Beschulungsquote für die Sekundarstufe von 25 auf 34 Prozent im subsaharischen Afrika, von 44 auf 51 Prozent in Südasien und von 64 auf 74 Prozent in Ostasien, 4 und das obwohl die Kosten für Sekundarschulen sehr viel höher sind: Lehrer für diese Schulen sind teurer, weil sie besser ausgebildet werden müssen, für Eltern und Kinder bedeutet eine längere Schulzeit zunächst einen Verlust an Einkommen und Berufserfahrung, weil Kinder im Teenageralter sonst bereits arbeiten und Geld verdienen.
Die Kinder in die Schule zu bekommen ist der erste wichtige Schritt, hier beginnt das Lernen. Doch es hilft niemandem, wenn sie – einmal dort angekommen – nichts oder nur wenig lernen. Seltsamerweise taucht das Thema Lernen in den internationalen Deklarationen nur am Rande auf: Die Millennium-Entwicklungsziele
sagen nichts Genaueres darüber aus, dass die Kinder in der Schule etwas lernen sollen, nur dass sie die Grundschule abschließen sollen. In der Abschlusserklärung des Education-for-All (»Bildung für alle«)-Gipfels, der 2000 in Dakar stattfand und von der UNESCO ( United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) finanziert wurde, taucht das Ziel, die Qualität der Ausbildung zu verbessern, an sechster und letzter Stelle auf. Man ist wohl einfach davon ausgegangen, dass das Lernen dem Schulbesuch ganz selbstverständlich auf dem Fuße folgt. Doch leider liegen die Dinge nicht so einfach.
In den Jahren 2002 und 2003 führte die Weltbank die bereits erwähnte Abwesenheitsstudie durch: Sie schickte unangekündigt Kontrolleure in eine repräsentative Zahl von Schulen in sechs Ländern. Dabei zeigte sich, dass die Lehrer in Bangladesch, Ecuador, Indien, Indonesien, Peru und Uganda durchschnittlich an einem von fünf Tagen nicht zur Arbeit erscheinen, für Indien und Uganda waren die Zahlen sogar noch höher. Schlimmer noch, wie die Beobachtungen in Indien ergaben, sind selbst Lehrer, die sich in der Schule aufhalten und unterrichten sollten, oft mit anderen Dingen, wie Tee trinken, Zeitung lesen oder mit Kollegen plaudern, beschäftigt. Insgesamt befanden sich 50 Prozent der indischen Lehrer an staatlichen Schulen zum Untersuchungszeitpunkt nicht dort, wo sie hätten sein sollen, nämlich vor ihrer Klasse. 5 Wie können Kinder da etwas lernen?
Pratham, eine auf Bildung spezialisierte indische Nichtregierungsorganisation, beschloss 2005, noch einen Schritt weiter zu gehen und herauszufinden, was die Kinder tatsächlich lernen. Die Organisation wurde 1994 von Madhav Chavan gegründet, einem Chemieingenieur, der in den USA studiert hat und der felsenfest davon überzeugt ist, dass alle Kinder lesen lernen können und sollen, damit sie lesen können, um zu lernen. Er machte aus einem kleinen, in Mumbai ansässigen und von der UNICEF unterstützten Wohltätigkeitsverein eine der größten NGOs Indiens, vielleicht sogar der Welt. Die Programme
von Pratham erreichen 34,5 Millionen Kinder in ganz Indien und sind gerade dabei, sich weltweit auszubreiten. Unter dem Banner des Jahresbildungsberichts ( Annual State of Education Report, ASER) stellte Pratham in allen 600 indischen Distrikten Freiwilligenteams auf. Diese Teams testeten über 1000 Kinder in zufällig ausgewählten Dörfern jedes Distrikts – insgesamt 700 000 Kinder – und stellten dem Bildungssystem anschließend ein Zeugnis aus. Montek Singh Ahluwalia, einer der führenden Köpfe der regierenden Kongresspartei, stellte den Bericht vor, doch was er verlas, kann ihn nicht glücklich gemacht haben. Beinahe 35 Prozent der Sieben- bis Vierzehnjährigen konnte nicht einmal einen einfachen kurzen Absatz lesen (Niveau der 1. Klasse), und fast 60 Prozent der Kinder waren nicht in der Lage, eine einfache Geschichte zu lesen (Niveau der 2. Klasse). Nur 30 Prozent beherrschten mathematische Operationen auf dem Niveau der 2. Klasse (einfaches Dividieren). 6 Die Ergebnisse des Mathematiktests erstaunen besonders, denn überall in der Dritten Welt führen kleine Mädchen und kleine Jungs, die ihren Eltern auf dem Markt oder im Laden helfen, viel kompliziertere Berechnungen durch – und zwar ohne Papier und Bleistift. Verlernen sie das in der Schule?
Nicht jeder in der Regierung war so wohlwollend wie Herr Ahluwalia. Die Regierung des Bundesstaats Tamil Nadu wollte nicht
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