Poor Economics
glauben, dass ihre Schüler so schlecht abgeschnitten hatten, wie die ASER-Daten behaupteten, und ließ die Tests von eigenen Teams wiederholen; doch leider bestätigten diese die ursprünglichen Ergebnisse. Inzwischen findet in Indien alljährlich im Januar das Ritual der Veröffentlichung der ASER-Ergebnisse statt. Die Presse entrüstet sich über die schlechten Ergebnisse, in akademischen Expertengremien werden die Statistiken diskutiert, und es ändert sich wenig.
Leider ist Indien kein Einzelfall, im benachbarten Pakistan, im fernen Kenia und in mehreren anderen Ländern fielen die Ergebnisse ganz ähnlich aus. Der Uwezo Survey, den man in Kenia nach dem Muster des indischen Jahresbildungsberichts ASER
entworfen hat, ergab, dass 27 Prozent der Fünftklässler nicht einmal einen einfachen Absatz in Englisch und nur 23 Prozent einen in Kisuaheli (den beiden Sprachen, die in der Grundschule unterrichtet werden) lesen konnten. 30 Prozent konnten keine einfachen Divisionen durchführen. 7 In Pakistan waren 80 Prozent der Drittklässler nicht in der Lage, einen einfachen Absatz (Niveau der 1. Klasse) zu lesen. 8
Die Argumente der Nachfragewallahs
Eine Gruppe von Kritikern, zu denen auch William Easterley gehört, vertritt die Auffassung, es gebe keinen Grund, Bildung zu fördern, solange keine eindeutige Nachfrage besteht. Für diese »Nachfragewallahs« verkörpern die gerade geschilderten Studienergebnisse all das, was in den letzten paar Jahrzehnten auf dem Gebiet der Bildungspolitik falsch gelaufen ist. Ihrer Meinung nach ist der Unterrichts schlecht, weil sich die Eltern nicht darum kümmern, und die kümmern sich nicht, weil sie wissen, dass Bildung nur wenig nutzt bzw. – ökonomisch gesprochen – kaum Rendite bringt. Wäre der Nutzen von Bildung hoch genug, würden die Schülerzahlen steigen, ohne dass der Staat nachhelfen müsste. Die Leute würden ihre Kinder in Privatschulen schicken, die man eigens für sie bauen würde, oder – wenn das zu teuer wäre – sie würden von ihren örtlichen Behörden verlangen, dass Schulen gebaut werden.
Die Nachfrage ist in der Tat ein kritischer Faktor. Die Schulbesuchsquote reagiert ausgesprochen empfindlich auf die aus der Ausbildung zu erwartende »Rendite«: Während der Grünen Revolution in Indien wuchsen die technischen Anforderungen an Landwirte, dadurch gewann das Lernen an Bedeutung, und in Regionen, die für den Einsatz des neu eingeführten Saatguts besser geeignet waren, verbesserte sich die Bildung schneller als in anderen. 9 Ein ähnliches Phänomen ist gerade im Zusammenhang mit den vom Ausland aus operierenden Callcentern zu beobachten. In Europa und in den USA werden sie verdammt, weil sie heimische Arbeitsplätze vernichten, doch in Indien haben sie zu
einer kleinen sozialen Revolution geführt, weil sie die Beschäftigungsmöglichkeiten für junge Frauen dramatisch verbesserten. Robert Jensen von der University of California in Los Angeles schloss sich 2002 mit ein paar solcher Callcenter zusammen und half ihnen, Rekrutierungsveranstaltungen für junge Frauen zu organisieren; sie taten das in zufällig ausgewählten Dörfern in drei nordindischen Bundesstaaten, wohin die Werber sonst nie gegangen wären. Wenig überraschend kam es, verglichen mit anderen zufällig ausgewählten Dörfern, wo niemand angeworben wurde, zu einem Beschäftigungsanstieg bei jungen Frauen in sogenannten Zentren für ausgelagerte geschäftliche Abläufe ( business process outsourcing centers, BPO). Wirklich bemerkenswert (angesichts der Tatsache, dass dieser Teil Indiens für die Benachteiligung von Frauen berüchtigt ist) ist dagegen, dass drei Jahre, nachdem die Anwerbung begonnen hatte, etwa 5 Prozent mehr Mädchen zwischen fünf und elf Jahren die Schule besuchten als in den Dörfern, in denen es keine Rekrutierungen gab. Sie wogen auch mehr, was dafür spricht, dass ihre Eltern sie besser versorgten: Sie hatten erkannt, dass Bildung für Mädchen einen ökonomischen Wert besaß, und investierten darum gerne in sie. 10
Da Eltern in der Lage sind, auf Änderungen im Arbeitskräftebedarf zu reagieren, ist die beste Bildungspolitik – in den Augen der Nachfragewallahs – keine Bildungspolitik. Es muss attraktiv sein, in Geschäftszweige zu investieren, die gut ausgebildetes Personal benötigen, dann wird die Nachfrage nach solchen Fachkräften steigen und der Druck wächst, entsprechende Angebote bereitzustellen. Und dann, so die Argumentation weiter, werden
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