PopCo
rezitieren, dabei reden sie doch nur mit ein paar Elfjährigen. «Ich werde euch drei im Auge
behalten», fährt Miss Peterson fort und deutet mit dem Finger auf uns. «Verstanden? Wenn ich euch vor den nächsten Ferien
noch einmal hier sehe, muss ich euch einen Verweis schicken. Und jetzt macht, dass ihr rauskommt.»
Wir marschieren in das prächtige Foyer hinaus, wo es bereits sehr nach Wochenende aussieht. Die Essensausgabe vor der Schulküche
hat ihren silbernen Rollladen heruntergelassen, und man riecht keine zwiebeligen Essensdünste mehr. Draußen laden zwei Männer
verschiedene Geräte von einem Lieferwagen. Die müssen wohl für die Oberstufendisco sein, die am Abend stattfindet. Die Unterstufendisco
ist erst in zwei Wochen, doch alle meine Freundinnen haben schon jetzt fest vor hinzugehen. Ich weiß noch nicht, ob ich kommen
kann. Ich darf ganz sicher nicht allein mit dem Bus nach Hause fahren,aber wenn mein Großvater mich mit dem Auto abholt, wirft das wieder neue Probleme auf. Darüber kann ich mir jetzt aber keine
Gedanken machen. Ich muss mein Medaillon zurückhaben.
«Warum hast du Miss Hind nicht verpetzt?», fragt Emma Roxy, als wir aus dem Hauptgebäude auf den Parkplatz treten.
Roxy verdreht die Augen. «Lehrer verpetzt man doch nicht», sagt sie. «Wenn sie herausfinden, dass man etwas über sie erzählt
hat, machen sie einem das Leben zur Hölle. Außerdem ist die Direktorin immer auf ihrer Seite. Da ist es besser, wenn man sich
selber rächt.»
Es bleibt noch eine Stunde, bis der Sportunterricht und damit auch der Schultag zu Ende ist. Wir gehen über den Parkplatz
zurück in den leeren Umkleideraum.
«Glaubt ihr, wir sollen uns umziehen?», fragt Emma.
Roxy streift bereits ihren Schulrock über.
«Klar.» Ich zucke die Achseln. «Was sollen wir denn sonst machen?»
Wir wissen nicht recht, was wir mit dieser Freistunde anfangen sollen, die so unerwartet über uns hereingebrochen ist. Sonst
ist in der Schule immer alles genau geplant und durchstrukturiert. Nie bleibt man sich selbst überlassen, ohne Stundenpläne,
Vorschriften oder Aufsicht. Aber wir sind jetzt plötzlich frei, niemand überwacht uns. Die nächsten zwei, drei Minuten vergehen
damit, dass wir unsere Schuluniformen anziehen und dabei die ganze Zeit befürchten, es könnte jemand kommen und uns noch mehr
Ärger machen. Dann sehen wir einander ratlos an. Während des Unterrichts dürfen wir weder in die Bibliothek noch in die Aula
(die ja ohnehin schon geschlossen ist) oder auf den Pausenhof.
«So ein Mist», sagt Emma. «Sollen wir einfach nach Hause gehen?»
«Ich muss auf meinen Vater warten», sagt Roxy.
«Und ich auf den Schulbus», sage ich. «Außerdem will ich meine Kette wiederhaben.»
«Miss Hind ist so eine blöde Kuh», sagt Emma. «Was machen wir denn jetzt?»
«Wir könnten den Safe aufbrechen», schlägt Roxy vor.
«Das merkt sie doch», sagt Emma. «Und dann kriegen wir wirklich einen Verweis.»
«Stimmt», sage ich. «Sie würde doch gleich wissen, dass wir die Kette genommen haben.»
«Falls wir den Safe überhaupt aufkriegen», setzt Emma hinzu.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das schaffen würde, behalte es aber für mich. Stattdessen sage ich: «Ich muss einfach
warten, bis die Stunde vorbei ist, und sie dann danach fragen.» Allein der Gedanke macht mir Gänsehaut.
«Wir bleiben hier und warten mit dir», sagt Roxy. «Mit dieser Schlampe sollte keiner allein bleiben. Wer weiß, was sie dann
mit dir macht.»
Emma und ich wechseln einen Blick. Kein Mensch in unserem Alter benutzt das Wort «Schlampe», geschweige denn mit diesem Filmstartonfall.
Eigentlich kommt Roxy als Freundin nicht in Frage: Sie ist viel zu komisch. Und trotzdem wissen wir beide, dass wir uns mit
ihr anfreunden werden. Vor allem ich. Ich bin ja selber komisch, ich kann es nur etwas besser verbergen.
Auf Miss Hind zu warten ist gar nicht so leicht, wie man denken sollte. Wenn wir angezogen im Umkleideraum sitzen bleiben,
bis die anderen wiederkommen, gelten wir sofort als Lesben, das steht fest. Man kann auf keinen Fall anderen Mädchen beim
Duschen und Umziehen zuschauen, wenn man nicht dasselbe macht. Also begeben wir uns auf einen seltsamen Streifzug am Rand
des Schulgeländes entlang, bis wir oberhalb des Fachbereichs Landwirtschaft herauskommen, wodie Ziegen stehen. In zwei Jahren sollen wir angeblich lernen, die zu melken. Igitt! Und in Bio müssen wir irgendwelche
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