PopCo
endlosen Raum hinausschaue, schwöre ich meiner
Mutter, dass ich es versuchen werde. Ob sie da oben in den Wolken wohnt? Bei den Sternen? In der Mitte des Regenbogens? Egal.
Sie ist irgendwo da draußen, das weiß ich jetzt.
Am späten Sonntagnachmittag denke ich mir plötzlich, dass meine Großmutter vielleicht traurig sein könnte, weil ich sie seit
Wochen nicht mehr in ihrem Arbeitszimmer besucht habe. Ich hatte den Kopf so voller Schulprobleme, aber das ist im Grunde
keine Entschuldigung. Warum sind eigentlich keine Sommerferien? Ich will nicht mehr in die Schule. Hätte meineMutter das Mädchen gemocht, das ich in der Schule bin, oder es wenigstens verstanden? Würde auch sie mich für die feige Mitläuferin
halten, als die ich mich selber sehe? Ich schaue aus dem Fenster, aber da ist nichts. Keine Sternschnuppe mit einer Botschaft
für mich. Keine Antwort auf einem interstellaren Laserstrahl.
Du sollst die Welt verändern
. Wenn ich nur wüsste, wie ich das machen soll! Obwohl ich noch Hausaufgaben für zwei Tage vor mir habe, gehe ich über den
Flur zum Arbeitszimmer meiner Großmutter und klopfe an die Tür.
«Alice», sagt sie. «Du kommst gerade recht. Lies mir doch bitte die Zahlen hier vor, damit ich sie aufschreiben kann …»
Es ist, als wäre ich von einer langen Reise nach Hause zurückgekehrt.
Am Montag habe ich Bauchschmerzen und kann nicht in die Schule gehen. Stattdessen bleibe ich daheim und lese. Am Nachmittag
erkundigt sich mein Großvater, ob ich wieder fit genug bin, eine Liste seltener Blumen mit roten Blüten für ihn zusammenzustellen.
Ich esse mit meinen Großeltern zu Abend, aber am Dienstag sind die Bauchschmerzen wieder schlimmer. Als mein Großvater vorschlägt,
mit mir zum Arzt zu gehen, weigere ich mich, wie jedes Mal. Und so muss ich am Donnerstag wieder in die Schule.
Da ist es bereits zu spät. Eigentlich darf man seine Freundinnen ja nicht mal für eine Stunde verlassen, geschweige denn für
drei ganze Schultage. Manchmal reichen schon fünf Minuten, um die beste Freundin zu verlieren. Es braucht nur ein kurzes Gespräch:
«Magst du die wirklich?» «Na ja …» «Sie ist schon ein bisschen komisch.» «Ja, ich weiß.» «Außerdem weiß sie immer alles besser.» «Stimmt.» «Ich wünschte,
wir würden mehr zusammen machen.» «Ja, ich auch.» «Na, dann …» «Aber wie soll ich es ihr sagen?» «Ach, das merkt sie schon.»
Emma hat mich nicht direkt fallen lassen, aber während ich krank war, ist sie viel mit einer gewissen Becky rumgezogen,die mit uns Mathe hat. Die beiden überbringen mir die traurige, aber letztlich vorhersehbare Nachricht, dass Aaron inzwischen
mit einer anderen geht. Und natürlich wissen auch schon alle in unserem Schuljahr, dass ich verklemmt bin, weil ich ihn nicht
küssen wollte. (Dabei habe ich ihn doch geküsst! Also, fast zumindest.) Ist es schlimmer, verklemmt zu sein als eine Tussi?
Aaron hat allen erzählt, dass ich viel zu viel rede, und sogar Alex schaut mich jetzt komisch an. Nicht, dass er mich überhaupt
oft anschauen würde. Ich trage meinen neuen Rock (den ich in der Seitenstraße auf dem Weg zur Bushaltestelle übergezogen habe),
aber das hilft mir jetzt auch nichts mehr. Ich habe Lipgloss, aber das hat Becky auch. Und Lipgloss scheint auch gar nicht
mehr das Entscheidende zu sein. Der neueste Trend, den ich natürlich total verpasst habe, betrifft Schreibwaren: Glitzerstifte,
buntes Tipp-Ex, Sternchenaufkleber, Filzstifte und Textmarker. Meine ganze Clique verbringt den Unterricht damit, die Hausaufgaben
in verschiedenen Farben zu unterstreichen oder ihre Lineale und Geodreiecke mit buntem Tipp-Ex zu bemalen. Sie können inzwischen
alle wahnsinnig gut Herzchen malen. Ich kann keine Herzchen malen. Warum sollte ich auch? Ich hätte ja nicht mal ein Paar
Anfangsbuchstaben, die ich zusammen mit meinen in das Herzchen schreiben könnte.
«Wir suchen dir einen neuen Freund», sagt Becky am Donnerstag in der Pause zu mir.
«Ja», sagt Emma. «Aaron hat dich eh nicht verdient.»
Währenddessen türmen sich bei mir die Hausaufgaben. Englisch ist das einzige Fach, in dem ich noch halbwegs mithalte. Ständig
sehe ich Emma und Becky in intensiven Gesprächen miteinander. Ich fühle mich wie eine jungfräuliche Königin, die überall von
Intrigen umgeben ist. Oder nein. Eigentlich fühle ich mich nur wie eine einsame Elfjährige mit einem vollgestopften Spind,
schmutzigem
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