PopCo
als Englischhausaufgabe ab und kriege jedes Mal ein A oder sogar ein A+ dafür. Ich glaube, irgendwann würde ich
gern Schriftstellerin werden. Für den Augenblick nehme ich keine konkreten Sabotageakte mehr in Angriff – es reicht schon,
darüber nachzudenken. Einen ganz großen Coup plane ich allerdings noch. Nur einen.
Im Sommerhalbjahr gibt es Klassenarbeiten und Prüfungen und alle möglichen anderen fürchterlichen Dinge zu bewältigen, deshalb
haben die Lehrer den Sporttag (Hölle) und den Uniformfreien Schultag (Hölle hoch zwei) auch noch dorthin gelegt. Und außerdem
gibt es das Groveswood-Schachturnier, an dem jeder teilnehmen kann. Ich lese mir die Ankündigung am Schwarzen Brett täglich
durch, weil sie mir so ein irrsinniges Kribbeln verursacht.
Das große Groveswood-Schachturnier
, steht dort.
Alle Schüler können teilnehmen. Der Sieger darf gegen
Mr. Morgan spielen. Meldet euch an oder kommt einfach vorbei und schaut zu. Wer wird Mr. Morgan in diesem Jahr den Pokal streitig machen?
Welch freudige Botschaft! Mir ist durchaus klar, dass nur wenige Schulen ein Turnier abhalten würden, an dem die Schüler zwar
teilnehmen dürfen, der Lehrer aber immer gewinnt. Wäre es nicht genial, wenn das dieses Jahr einmal anders wäre?
Ich überrede meinen Großvater, jeden Abend mit mir Schach zu spielen. Ich muss üben, üben, üben. Bin ich überhaupt gut genug,
um auch nur ein Spiel zu gewinnen, oder werden mich die ach-so-viel-klügeren Schachclub-Jungs sofort vom Platz fegen? Egal.
Jede Sekunde, die ich an diesem Turnier teilnehme, wird Motzmann ein Dorn im Auge sein, und das genügt mir schon. Wenn ich
nur nicht gegen Alex spielen muss! Das wäre wirklich zu viel. Sollte ich tatsächlich gegen Alex antreten müssen, würde ich
wahrscheinlich sofort aufgeben. Nach all den Sachen, die ich mir vorgestellt habe, kann ich ihm unmöglich so lange gegenübersitzen
und ihn ansehen. Aber ich muss nicht gegen Alex spielen. Am Turniertag, einem sonnigen Samstag im Juni, sitze ich in dem geisterhaften
Sonnenlicht, das die Aula erfüllt, und spiele gegen Robin und Neal und Gavin und Stephen und schlage sie alle. Meine Großeltern
sitzen zwischen den Schachclub-Eltern im Publikum und applaudieren jedes Mal, wenn ich wieder ein Spiel gewonnen habe. Ich
kann gar nicht fassen, wie gut das läuft! Meine Großeltern scheint es nicht weiter zu wundern, dass ich all diese Jungen schlage,
und sie finden es auch gar nicht merkwürdig, dass ich es tatsächlich bis ins Finale schaffe. Nur ich weiß, was für eine Abnormität
ich bin. Wenn das alles vorbei ist, werde ich einen Monat lang nicht richtig atmen können.
Während des sogenannten Finales – das eigentliche Finale ist natürlich das Spiel gegen Motzmann, aber vorher gibt es noch
das Finale zwischen den Schülern – bin ich so aufgeregt,dass ich fast verliere. Mein Gegner, ein Junge namens Wayne, spielt ziemlich gut. Er eröffnet mit einer Art Damengambit, das
ich noch nicht kenne. Eine Zeitlang steht es völlig auf der Kippe. Doch dann, kurz bevor es zu spät ist, begreife ich plötzlich,
was er vorhat. Mir bleibt gerade noch Zeit, seinen König anzugreifen, und mit Händen, die so stark zittern, dass ich fast
fürchte, die Figuren umzuwerfen, gewinne ich die Partie. Jetzt werde ich gegen Motzmann spielen!
Eigentlich hatte ich erwartet, es würde ihn beeindrucken, wenn nicht sogar demütigen, dass ich mich ihm tatsächlich stelle.
Ich hatte mir ausgemalt, dass er vielleicht sagt: «Tja, junge Dame, da habe ich mich wohl in dir getäuscht.» Aber den Gefallen
tut er mir nicht. Stattdessen sagt er leise zu mir, als wir uns vor dem Spiel die Hand geben: «Weiber schaffen es immer nur
mit unlauteren Mitteln an die Spitze. Aber bringen wir’s hinter uns. Dir gebe ich allenfalls fünf Minuten.»
Wenn ich ehrlich bin, macht es mir eine Riesenangst, gegen Motzmann anzutreten. Er spielt bestimmt richtig gut Schach, schließlich
hat ihn noch nie ein Schüler geschlagen. Doch dann durchschaue ich seinen Angriffsplan schon nach den ersten paar Zügen. Es
ist ein Rubinstein-Manöver, dasselbe, das Kasparow in einem Spiel aus den Schachbüchern meines Großvaters verwendet. Mein
Großvater hat das sogar einmal in seiner
Kopfnuss
-Kolumne gebracht. Und so bin ich auf alles vorbereitet, als Motzmann seine Dame nach c2 verschiebt und mich mit selbstgefälligem
Blick mustert. Er macht den großen Fehler, gar nicht darauf zu
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