PopCo
Hunger.
Ich bin viel zu wütend. Wie kann er es wagen?
Damit herrscht Krieg. Ich bin ein Mitglied der französischen Résistance, das im Wald auf der Lauer liegt, eine SO E-Saboteu rin , mit Messer und Plastiksprengstoff bewaffnet. Ich werde ihre Brücken in die Luft jagen und sie alle im Schlaf ermorden –
sobald ich wieder aufhören kann zu weinen. Miss Hind macht mir immer noch das Leben schwer. Jetzt wird sie dafür büßen. Motzmann
wird doppelt und dreifach büßen und alle Kinder, die mir blöd kommen, auch. Wer bin ich denn? Ich bin Edmond Dantès.
Die nächsten zwei Wochen schmiede ich Pläne und Intrigen, dann mache ich mich an die Arbeit. Ich kann gar nicht glauben, dass
ich das tatsächlich wage! Ich verbringe viel Zeit im dritten Stock des Schulhauses, im Schutz des düsteren Toilettenraums,
und kenne den Rhythmus dieses eigenartigen Stockwerks, das ständig wiederholte
Écoutez et répétez
aus dem Sprachlabor, den Geruch nach Kreide aus Motzmanns Klassenzimmer. Und ich weiß, dass Motzmann nur hier oben in seinem
scheußlichen kleinen Matheraum unterrichtet, nirgends sonst. Umgekehrt wird das Klassenzimmer nie für etwas anderes genutzt
als seine scheußlichen, elitären Mathestunden. Wenn Motzmann einmal stirbt und als Geist zurückkehrt, wird er garantiert hier
spuken. Mein Gott. Ich habe solche Angst, dass mich jemand erwischt. Ich habe solche Angst, wieder zu Miss Peterson geschickt
zu werden, aber ich weiß auch, dassmir die Logik dabei helfen wird, das durchzustehen. Also klebe ich am Montag, während Motzmann Pausenaufsicht hat, alle Fenster
im Zimmer mit Sekundenkleber zu, und am Dienstag, wieder während der Pausenaufsicht, lasse ich eine Stinkbombe los. Mädchen
tun so etwas nicht, und ich habe auch sonst keinerlei Verbindung zu diesem Klassenzimmer. Nach Lehrerlogik muss es ein Junge
aus Motzmanns Kurs gewesen sein, der um den Unterricht herumkommen wollte. Kein Mensch wird mich verdächtigen. Und so ist
es auch. Angeblich soll Motzmann wutentbrannt aus dem Zimmer gestürmt sein, als er die Tat entdeckt hat, und sein kostbarer
Schachclub muss eine Woche lang geschlossen nachsitzen, während er darauf wartet, dass sich jemand zu dem Vergehen bekennt.
Das Wissen, dass ich die wahre Täterin bin, versetzt mir einen solchen Adrenalinschub, dass ich eine Woche lang kaum atmen
kann. Ich hätte nie-niemals gedacht, dass ich allen Ernstes zu so etwas fähig bin. Leck mich, Motzmann!
Rachel und ihre Eltern sind über Weihnachten verreist, und ich verbringe die Ferien damit, zu lesen und neue finstere Pläne
zu schmieden. Nichts davon könnte ich jemals tun – es ist alles viel zu kompliziert und außerdem viel zu riskant, falls ich
doch erwischt werde –, aber ich stelle fest, dass es mir fast so viel Freude bereitet, wenn ich mir die Sachen einfach ausdenke und mir dabei
zusehe, wie ich sie im dunklen Raum meiner Gedanken in die Tat umsetze. Ich breche in Miss Petersons Büro ein und ändere die
Zeugnisnoten der beliebten Clique. Ich schreibe
Miss Hind lutscht Schwänze
an die Wand der Turnhalle (das ist wieder der Einfluss der Erwachsenenbücher). Und an einem der Tage, an denen wir vor der
Mittagspause Sport haben, klaue ich Lucys Schulrock aus dem Umkleideraum, sodass sie für den Rest des Tages in ihrem Sportröckchen
herumlaufen muss. In meiner Phantasie kann mich nichts mehr aufhalten.
Manchmal stelle ich mir auch vor, Alex zu küssen und die Dinge mit ihm zu machen, die die Erwachsenen aus meinen Büchern tun.
Ich stelle mir vor, wie ich seine Nummer im Telefonbuch nachschlage, ihn anrufe und mich für den Sonntagabend zu einem Spaziergang
im Park mit ihm verabrede. Wir tragen beide dicke Schals, und er küsst mich im Schnee. Und dann sagt er: «Weißt du, ich habe
das noch nie jemandem erzählt, aber eigentlich bin ich Millionär (wahlweise auch Spion oder Zeitreisender), und ich habe eine
eigene große Wohnung. Soll ich sie dir zeigen?» Und wie der Zufall es will, habe ich einen magischen Knopf dabei, der für
die ganze Welt die Zeit anhält, außer für mich und meine jeweilige Begleitung. (Ich trage diesen Knopf immer um den Hals.)
Wir gehen also zu ihm, ich drücke meinen Zauberknopf, und dann gehen wir wie die Erwachsenen miteinander ins Bett, so lange
wir wollen, und …
Ich weiß nicht genau, ob meine neue Phantasiewelt gut oder schlecht ist. Manchmal gebe ich eine heftig zensierte Version dieser
Geschichten
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