PopCo
Wochen durchhalten, aber wie ich schon vermutet hatte, ist das auch gar nicht nötig. Das Motto
der Beliebten ist ganz offensichtlich, zuerst die Schwachen fertigzumachen. Ich weigere mich, schwach zu sein, also quälen
sie irgendwann andere. Meine Strategie ist aufgegangen. Natürlich kann ich jetzt keine beste Freundin mehr haben und auch
sonst keine Freunde. Das wäre viel zugefährlich, weil sie die Beliebten mit Informationen versorgen könnten.
Teile und herrsche
heißt der Spruch. Aber wenn man nirgendwo dazugehört, braucht man auch nichts von sich selbst mitzuteilen. Meine Geheimnisse
verrate ich niemandem, und außerdem habe ich ja auch noch meine ganz speziellen Schutzschilde. Die anderen können mich gar
nicht treffen!
Nachdem ich dieses Experiment ein paar Wochen durchgehalten habe, beschließe ich, dass ich vielleicht doch einmal den Schachclub
und den Computerclub ausprobieren könnte. Wenn man zu den Beliebten gehört, kann man solche komischen Streberaktivitäten von
vornherein vergessen. Aber ich gehöre ja nicht mehr zu den Beliebten. Ich kann tun und lassen, was ich will. Was sollen sie
schon groß zu mir sagen? «Spielst wohl gerne Schach, was, Alice?» Ich habe noch ein paar weitere Regeln gelernt. Man darf
sie nicht ignorieren. Man darf nicht sarkastisch werden. Man darf auf keinen Fall versuchen, eine Diskussion vom Zaun zu brechen.
Und man darf auch nicht kleinlaut werden oder ihrem Blick ausweichen. Wenn man irgendwas davon tut, hat man schon verloren.
Wenn beispielsweise jemand kommt und sagt: «Du spielst wohl gerne Schach, was?», erwidert man: «Na und? Du spielst ja auch
gerne an dir rum, ohne dass ich das hier an die große Glocke hänge.» Die Antwort muss kurz und bissig sein und laut genug,
dass die anderen in der Klasse sie hören, der Lehrer allerdings nicht. Man darf nie vergessen, dass man im Vorteil ist. Schließlich
weiß man selbst schon vorher, welche peinlichen Hobbys man sich zulegen will, da kann man sich auch gleich ein paar Antworten
ausdenken. Die einzige Gefahr dieser Methode besteht darin, dass es hin und wieder zu Handgreiflichkeiten kommen kann; aber
auch da kann mir nicht viel passieren, denn die verabredeten Zweikämpfe finden immer nach dem Unterricht draußen auf dem Feld
statt, und da sitze ich schon längst wieder im Bus nach Hause.
Wenn man zu weit geht, sagen die anderen manchmal, man wäre «eklig» oder «widerwärtig». Dann antwortet man einfach: «Soll
ich mal überall erzählen, wie eklig du bist? Was ich schon alles über dich gehört habe …» Wenn man eine Zeitlang mit der Clique der Beliebten herumgezogen ist, macht das die anderen schon nervös. Manchmal versuchen
sie danach, einen allein zu erwischen, und wollen wissen, was man denn genau gehört hat. Dann weiß man, dass man gewonnen
hat. Und außerdem weiß man, dass sie tatsächlich irgendein ekliges Geheimnis haben. Aber wer hat das nicht? In der Schule
benehmen wir uns alle wie diese geschlechtslosen Puppen, die man überall kaufen kann und die zwischen den Beinen nur glattes
Plastik haben; aber unter den Kleidern haben wir doch alle irgendwelche Löcher zum Pinkeln und zum Kacken.
So gehe ich also eines Mittwochs kurz vor Weihnachten in die Bibliothek mit ihrem orangefarbenen Teppichboden, wo der Schachclub
stattfindet. Die Jungs mustern mich ängstlich und/oder abfällig, als ich mich an ein Pult setze, um auf Morgan-Motzmann zu
warten. Aber natürlich hatte ich schon nicht mehr damit gerechnet, wie gemein Motzmann wirklich ist. Als er hereinkommt, stutzt
er komödienreif und lacht mir dann mitten ins Gesicht.
«Was haben wir denn hier?», fragt er. «Ein Fräulein in Nöten?»
«Ich möchte dem Schachclub beitreten», sage ich.
Alle Jungen im Raum starren mich an. Auch Alex.
«Du willst dem Schachclub beitreten», wiederholt Motzmann. «So, so. In welcher Matheleistungsgruppe ist denn die kleine Miss
Butler?»
«Gruppe zwei», sage ich.
«Na dann, Jungs», sagt er zu den anderen Anwesenden. «Sagt der jungen Dame doch mal, in welcher Leistungsgruppe ihr seid?»
«Eins», sagen sie alle im Chor.
«Ich fürchte, das hier ist ein Club für die Elite», sagt Motzmann zu mir.
Er will noch mehr sagen, aber ich bin schon aus der Tür, mit rotem Kopf, Tränen in den Augen. Ich flüchte aus dem Hauptgebäude
auf meinen Acker, um dort wie jeden Tag bei den Ziegen mein Pausenbrot zu verzehren, aber eigentlich habe ich gar keinen
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