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PopCo

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Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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gerade an den HF. Den Höchsten Faschisten. Das war Paul Erdös’ Name für Gott. Wahrscheinlich
     war das seine ganz persönliche Vorstellung vom Höheren Wesen. Er sagte immer, das Leben sei ein Spiel, das man nicht gewinnen
     kann, weil es jedes Mal, wenn man etwas Schlechtes tut, einen Punkt für den HF gibt, während keiner einen Punkt bekommt, wenn
     man etwas Gutes tut. Das Spiel des Lebens hat das Ziel, den Punktestand des HF möglichst niedrig zu halten; aber ganz egal,
     wie man es spielt, gewinnen kann man nicht.»
    «Klingt einleuchtend», sagt Ben.
    «Jetzt, wo ich drüber nachdenke, hat sich Erdös wohl auch ein vollständiges Religionssystem mit Jenseits und Höherem Wesen
     zurechtgelegt, so wie du», sage ich zu Esther. «Er glaubte,dass der HF ein Buch führt, ein Buch mit einer transfiniten Anzahl Seiten, in dem die perfekten Beweise für sämtliche existierenden
     mathematischen Probleme verzeichnet sind. Wenn mal wieder jemand eine richtig elegante Lösung gefunden hatte, sagte Erdös:
     ‹Die kommt wohl direkt aus dem Buch.› Er glaubte übrigens auch, dass man dieses Buch nach dem Tod zu sehen bekommt.»
    «Cool», kommentiert Esther.
    «Irgendwo habe ich mal die These gehört», sagt Ben, «dass wir erst in den Himmel kommen können, wenn wir uns einen erfinden.
     Die Argumentation lautet, dass wir genau deshalb auf der Welt sind, um uns ein halbwegs brauchbares Jenseits zu erschaffen
     – und zwar nicht nur in der Vorstellung, sondern im ganz physischen Sinn. Irgendeine Vorrichtung vielleicht, mit der man beim
     Sterben das Bewusstsein freisetzen und in eine Computersimulation oder etwas Ähnliches einspeisen kann. Bis dahin werden wir
     einfach immer wiedergeboren, es kommen neue Menschen hinzu, und die Bevölkerungszahlen explodieren   … Aber sobald wir lernen, unser Bewusstsein aus dem Körper zu befreien, hört auch das mit der Reinkarnation auf, und wir treten
     ins nächste Evolutionsstadium ein, in dem wir dann nur noch als bloße Energie existieren.»
    «So wie die fortschrittlichen Wesen aus den Science-Fiction-Filmen?», fragt Esther.
    «Genau so.» Ben lacht und angelt sich einen Veggie-Bären. «Ein ziemlich abgedrehter Techno-Buddhismus, würde ich sagen», fährt
     er dann fort. «Ich weiß gar nicht mehr genau, wessen Idee das war. Was hältst du davon, Alice?»
    «Klingt fast überzeugend», sage ich. «Aber wenn die Evolution den Sinn hat, uns um eine Dimension zu reduzieren, müsste das
     eigentliche Ziel dann nicht sein, irgendwann gar nicht mehr zu existieren? Da weiß ich nicht so recht. Ich habe eigentlich
     immer gehofft, dass man nach dem Tod in eine riesigeBibliothek kommt, in der nicht nur Erdös’ Buch steht, sondern eine unendliche Anzahl weiterer Bücher, die einem alles erklären,
     was man immer schon über das Leben wissen wollte. Man kann nicht nur all die Bücher lesen, sondern sich auch alles Mögliche
     anschauen, was sich auf der Erde ereignet hat, zu allen Zeiten und aus jeder denkbaren Perspektive. Man könnte beispielsweise
     fünfzig Jahre lang als Hitler leben, wenn man begreifen will, wie der getickt hat, oder hundert Jahre lang in Frankreich auf
     einem Baum im Park sitzen und Leute beobachten, oder man könnte einfach das eine oder andere Leben im Kopf eines ganz normalen
     Menschen verbringen. In meinem Jenseits ist alles auf eine andere Ebene gehoben. Das Wissen ist unendlich, man erhält Antworten
     auf jede Frage, die es überhaupt gibt, und Unterhaltung ist keine Fiktion mehr, sondern richtiges Leben   …»
    «Los, Ben», sagt Esther. «Sag ihr, dass ihr Jenseits schon als Reality-Show im Kabelfernsehen läuft   …»
    «Nein», sagt er. «Ich finde, das ist ein ziemlich cooles Jenseits, das sie da hat. Aber was ist dann der Sinn des Lebens hier
     auf der Erde? Wozu leben wir überhaupt?»
    «Aus zwei Gründen», sage ich. «Erstens, um überhaupt zu begreifen, was das Leben ist, und uns möglichst viele Fähigkeiten
     anzueignen, mit denen wir es interpretieren können. Im Leben dürfen wir gewissermaßen schon mal raten, was die Lösungen sind,
     bevor wir sterben und die Antworten zu sehen kriegen. Außerdem lernen wir, die richtigen Fragen zu stellen. Und zweitens hat
     es den Sinn, ein gutes Leben zu führen und nett zueinander zu sein.»
    «Aber wozu denn?», fragt Esther. «Wenn man hinterher dann doch in seinem kuscheligen Jenseits landet?»
    «Weil es im Jenseits natürlich noch jede Menge andere Tote gibt. Anfangs kann man

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