PopCo
sich aussuchen, mit wem man im Jenseits
gern zusammen sein möchte. Aber wenn ich dort ankommeund beispielsweise nach einer alten Freundin aus der Schule suche, schaue ich mir doch erst mal ihr Leben etwas genauer an,
um zu sehen, wie sie tatsächlich ist. Wenn sich dann herausstellt, dass sie die ganze Zeit nur so getan hat, als ob sie mich
mag, will ich im Jenseits auch nichts mehr mit ihr zu tun haben. Wer sein Leben damit verbringt, andere zu betrügen und anzulügen,
hat es hinterher ganz schön einsam.»
«Seht ihr», sagt Esther. «Ich sage doch, jeder von uns hat sich sein Jenseits ganz genau zurechtgelegt.»
«Warte», sage ich. «Ben hat noch nichts dazu gesagt.»
«Wie?» Ben steht auf und streckt sich. «Ach so. Ähm … Ich glaube, ich trete deiner Religion bei, wenn du nichts dagegen hast», sagt er dann zu mir. «Ich komme mit in deine riesige
Himmelsbibliothek.»
«Oh Mann», sagt Esther. «Ihr zwei seid ja echt schlimm.»
«Mir gefällt daran besonders, dass wir alle Planungen für ein gemeinsames Alter und solche Sachen einfach ausgelassen haben
und uns gleich aufs Jenseits einigen konnten», sage ich. «Das ist nach einer Woche doch gar nicht schlecht.» Bens Miene verdüstert
sich. Oh Mist. Das sollte doch nur ein Witz sein …
Zurück marsch, marsch, Alice
. «Aber», sage ich, «ich nehme dich natürlich sehr gern in meine exklusive Religion auf. Wenn du willst, kannst du sogar Mitbegründer
werden.»
«Ja, vielleicht», sagt er. «Solange ich kein besseres Angebot kriege.»
Esther bleibt bei mir, während Ben für uns alle das Abendessen holen geht.
«Chloë hat vorhin nach dir gesucht», sage ich zu ihr. «Schien irgendwie wichtig zu sein.»
«Ich hätte doch abhauen sollen», sagt Esther versonnen.
«Wovor wolltest du eigentlich flüchten?», frage ich. «Doch nicht vor Chloë?»
«Nein.» Sie macht eine allumfassende Handbewegung. «Aber vor … dem hier. Dem allem. Vor PopCo. Wahrscheinlich weißt du gar nicht, dass Mac mein Onkel ist, oder?»
«Was? Dann bist du seine Nichte? Das meinst du jetzt nicht im Ernst!»
«Doch. Also, nicht die leibliche Nichte natürlich – igitt, stell dir das mal vor! Nein. Aber die Schwester meiner Mutter war
vor Jahren seine Sekretärin, als er noch Geschäftsführer bei so einer Teppichfirma war. Sie haben sich ineinander verliebt
und geheiratet. Natürlich kam sie eigentlich nicht aus der richtigen Familie, aber Macs Eltern fanden sie trotzdem ganz reizend.
War ja auch klar. Tante Sarah ist genau der Typ dafür. Sie hat Sprecherziehung gemacht und Ballettstunden genommen, hatte
immer die richtige Frisur und perfekt gemachte Nägel. Sie wusste schließlich, dass sie nur dann die reiche, verwöhnte Ehefrau
werden kann, wenn sie einen Geschäftsführer heiratet. Also hat sie das gemacht. Meine Mutter war das genaue Gegenteil, so
eine Kunstakademie-Hippiebraut mit einer Schwäche für Drogen und einem leichten Alkoholproblem. Manchmal hat sie ganz ‹spontan›
für ein Wochenende bei Mac und Sarah in ihrem Landhaus vorbeigeschaut, mit ihrem jeweiligen Typen im Schlepptau. Als sie dann
mit mir schwanger war, haben sie ihr das sehr übelgenommen – ich meine, sie war nicht verheiratet, und es war immerhin erst
1974. Danach hatten sie ewig keinen Kontakt mehr.
Na, langer Rede kurzer Sinn, dann kam ich, und als ich etwa einundzwanzig war, stand ich da mit meinem Studienabschluss und
ohne Job und eigentlich auch ohne Wohnung. Meine Mutter soff immer noch, und wir wohnten in Teignmouth, was übrigens gar nicht
weit von hier ist, aber ich wollte unbedingt nach London und eine eigene Wohnung haben. Eigentlich war ich eine ziemliche
Nullnummer, aber ich hatte an der Uni ein paar ganz gute Leute kennengelernt, und wir wollten unsereeigene Videospielfirma aufmachen. Und Mum lag mir die ganze Zeit in den Ohren: ‹Ruf doch Onkel Steve an. Der ist jetzt Geschäftsführer
bei PopCo. Er hat sicher einen Job für dich in der Videospielabteilung.› Und ich sagte immer: ‹Wer will schon für so einen
beschissenen Großkonzern arbeiten?› Aber Heuchlerin, die ich bin, habe ich ihn dann doch angerufen und ihn gebeten, mir etwas
Geld zu pumpen, für die Firma, die wir gründen wollten. Und er meinte, Geld leihen ist nicht, aber er gibt mir eine Stelle.
Ich sollte in London arbeiten, im Büro in Battersea, er hätte da was ganz Besonderes für mich.»
«Offensichtlich hast du das Angebot
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