PopCo
erzählen?»
Esther zuckt die Achseln. Ich rechne schon damit, dass sie mich ausquetschen wird, schließlich habe ich ihr versehentlich
eine Vorlage gegeben. Doch sie tut nichts dergleichen, sondern raschelt nur mit den Füßen in den trockenen Blättern am Boden.
«Ich frage mich, wie das wohl läuft», sagt sie. «Georges und seine tolle Rede.»
«Was?»
«Warum glauben die eigentlich, dass sie besser sind als wir?», fragt Esther unvermittelt.
«Wer denn?»
«Mac. Georges. Die ganze Führungsriege. Was soll das? Gut, hier zählen sie was. Aber im Supermarkt bei mir um die Ecke kräht
zum Beispiel kein Hahn nach denen. Wenn du nicht weißt, wer sie sind, kannst du ihnen mit dem Einkaufswagen in die Hacken
fahren, ohne danach zwei Monate lang Schweißausbrüche zu kriegen und allen deinen Freunden Mails zu schicken, weil du gar
nicht fassen kannst, wen du da im Supermarkt getroffen und was du Furchtbares gemacht hast … Sie wären einfach irgendjemand, und du auch, und es würde alles keine Rolle spielen.»
«Na, eigentlich sind sie doch auch jetzt nur irgendjemand. Wie wir alle.»
«Nicht alle.» Esther kickt weiter mit ihren abgewetzten Turnschuhen Blätter weg. «Was ist mit Popstars? Filmstars? Nimm zum
Beispiel den Leadsänger von …» Sie denkt kurz nach und sagt dann den Namen der erfolgreichsten britischen Rockband. «Wenn der jetzt hier reinkäme, würdest
du ihn doch auch nicht wie irgendjemanden behandeln. Das geht gar nicht.»
Mich persönlich würde der Gitarrist ja viel mehr interessieren, aber ich will sie nicht vom Thema abbringen. Trotzdem ist
es komisch, dass sie gerade diese Band erwähnt, weil ich schon oft seltsame Träume von diesem Gitarristen hatte, in denen
es gar nicht um Sex oder so was ging, sondern einfach nur darum, dass ich gern mit ihm zusammen wäre. Selbst die Haare würde
ich gerne so tragen wie er. Aber das behalte ich alles für mich. «Und …?»
«Gehst du dieses Jahr auf irgendein Festival?»
«Nein. Ich hab’s nicht so mit Menschenmengen.»
«Du hast es nicht mit Menschenmengen?» Das scheint ihr zu gefallen.
«Nein.»
«Meinst du, wenn du drin bist, oder eher von oben?»
«Wie bitte?» Ich runzele die Stirn. «Von oben?»
«So eine Menschenmenge … Eigentlich merkst du doch erst so richtig, wie schrecklich das ist, wenn du sie von oben siehst, wie bei der Fernsehübertragung
von einem Festival. In so einer Menge bist du doch nur … ein Pünktchen, ein Nichts, eine statistische Größe. Und wessen Statistik ist das? Die von irgendeiner P R-Firma oder einer Werbeagentur.» Sie setzt eine Werbespot-Stimme auf. «
Wäre es nicht großartig, wenn wir alle dasselbe Handynetz hätten? Wäre es nicht toll, wenn wir uns alle gegenseitig Fotos
per MMS schicken könnten, wie wir alle dieselbe Band anschauen, in einer großen Masse und alle gleichzeitig?
Ich will nicht Teil einer großen Masse sein. Ich bin doch kein Insekt. Und ich will auch nicht genauso sein wie die Leute
neben mir. Ich will noch nicht mal zu dem ganzen Scheißpublikum gehören … Ich will …» Sie bricht ab, und ihr Blick wandert zu den Fenstern und dem Wald, der sich dahinter erahnen lässt.
Ich weiß genau, was sie meint, was selten vorkommt. Normalerweise höre ich irgendwann einfach nicht mehr zu, wenn jemandsich in Rage redet. Das mache ich nicht mal mit Absicht, es fällt mir nur nicht gerade leicht, mich da einzufühlen. Aber ich
konnte Menschenmengen noch nie leiden, und ich habe auch keine besondere Schwäche für Werbung. Und ich mache ungern Dinge,
die tausend andere Leute auch machen.
«Ich will …», sagt Esther noch einmal.
«Du willst in der Band sein», werfe ich ein.
Sie wirft mir einen merkwürdigen Blick zu. «Ja. Kann sein, aber …»
«Aber was?»
«Wenn du in der Band bist, kriegst du doch auch erst durch diese Insekten da unten einen Sinn. Wenn du in der Band bist, bist
du der Grund für diese Menge; du bist verantwortlich für das Entstehen einer neuen Zielgruppe: den Fans deiner Band.
Was können wir denen denn noch verkaufen? Frischgegrillte Burger oder lieber welche mit Gurken? Ach, die Zielgruppe besteht
hauptsächlich aus Vegetariern? Gut, dann machen wir mal ein kurzes Brainstorming zum Packungsdesign für diesen Fruchtsaft
hier – ich denke da in Richtung selbstreferenzielles, vielsagend-verspieltes Utopie-Zitat mit leichtem Hippie-Appeal. Und
vielleicht kann man auch noch was mit diesen
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