Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
PopCo

PopCo

Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
Vom Netzwerk:
Spiels
     noch viele Züge entfernt ist? Wenn sie so aus dem Gebüsch späht wie jetzt gerade, wirkt sie völlig durchgeknallt, aber es
     sieht uns ja keiner. Vermutlich sind alle noch drinnen. Ja, jetzt höre ich Applaus und ein paar Johler (Georges bringt die
     Leute immer zum Johlen, und ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich ihn allein schon deshalb auch zum Kotzen fände, wenn ich
     bloß nicht so furchtbar auf ihn stehen würde).
    Als ein paar Minuten später die Ersten nach draußen kommen, kommandiert Esther: «Ausrücken, Soldat!» Wir haben den Plan, uns
     unter die Leute zu mischen und so zu tun, als wären wir schon die ganze Zeit dabei gewesen.
    Ich muss über dieses Militärspielchen grinsen. Offenbar haben nicht nur Dan und ich diesen Tick. Ob das irgendwann jeder macht?
     Woher kommt das bloß? Wahrscheinlich ist eine Mischung aus Videospielen, Großeltern, alten Filmen am Sonntagnachmittag und
     Nachrichtensendungen dafür verantwortlich. Haben wir das etwa tatsächlich zu unserer Sprache gemacht, auch wenn wir sie fast
     nur ironisch verwenden? Ich weiß es nicht. Vielleicht ist ja alles inzwischen nur noch Ironie. Plötzlich erinnert mich diese
     Kriegsterminologie an eine Fokusgruppe für ein Brettspiel, die ich beobachten durfte,kurz nachdem ich bei PopCo angefangen hatte. (Neben Modulen wie «Sicherheit bei der Computerarbeit!» oder «Produzieren leicht
     gemacht!» gehört auch das Beobachten von Fokusgruppen zum Einführungsprogramm.) Das Spiel basierte so offensichtlich auf
Risiko
von Hasbro, dass es nie über die Testphase hinauskam, doch die Leute in der Fokusgruppe schien das nicht weiter zu stören.
    «Bauernaufstand!», rief eine Spielerin beim Angriff auf ein Land, das von mehr Soldaten besetzt war, als sie überhaupt besiegen
     konnte. Sie schien die Kamikaze-Königin dieser Spielrunde zu sein und hatte beim Würfeln meist sogar Glück.
    «Stirb, Bauerntölpel!», gab der Mann, den sie angegriffen hatte, mit aufgesetzt tiefer Kriegsherrenstimme zurück. «Ich bin
     der Herrscher der Welt!» Er verfehlte grundsätzlich den Aschenbecher und hatte seine Zigarettenasche bereits über den ganzen
     Tisch verteilt.
    «Ihr seid doch alle Terroristen!», protestierte die zweite Frau am Tisch, nachdem sie nacheinander von allen drei Mitspielern
     angegriffen worden war. «Ich beherrsche den größten Kontinent, und ich werde die ganze Welt beherrschen. Wer sich mir entgegenstellt,
     ist ein Terrorist   …» Sie war sehr dünn und wirkte fast durchsichtig mit ihrem bleichen Akademikerinnengesicht. Es war auch noch ein zweiter
     Mann mit von der Partie, der allerdings keinen bleibenden Eindruck hinterlassen hat.
    Je weiter ihr weltweites Zerstörungswerk fortschritt, desto häufiger schlugen die vier mit den Fäusten auf den Tisch.
Der Terrorismus muss ausgemerzt werden! Nieder mit den Massen!
Eigentlich waren sie alle gute Freunde und ziemlich angetrunken, weil sie das Spiel im Anschluss an ein von PopCo spendiertes
     Abendessen spielten (inklusive unbegrenzter Mengen eines sehr leckeren Weines, den ich hinterher auch probieren durfte). Ich
     war damals völlig fasziniert von dieser Fähigkeit, diekomplexe Realität eines Krieges zu bloßem oberflächlichen Geplänkel zu verwässern und den Schrecken spielerisch zu neutralisieren,
     doch inzwischen frage ich mich, ob wir das nicht eigentlich alle tun, ohne groß darüber nachzudenken. Und ob wir unsere Feinde
     inzwischen immer als «Terroristen» bezeichnen.
    Wir können zwischen künstlichem Ziergebüsch und Mülltonnen umherschleichen, so viel wir wollen, man wird uns trotzdem sehen.
     «Benimm dich etwas natürlicher», zische ich Esther zu, doch sie hat sich bereits geduckt, späht vorsichtig nach links und
     rechts, und wenn mich nicht alles täuscht, hält sie allen Ernstes die linke Hand wie eine Pistole, die sie gleich aus dem
     Hüfthalfter ziehen wird. Die letzten Zuhörer verlassen den Saal und gehen in Richtung Scheune davon.
    «Die Luft ist rein», flüstert Esther mir zu.
    «Esther!», will ich sie aufhalten, aber sie ist schon fast an der Tür, hat natürlich den völlig falschen Moment erwischt und
     prallt direkt gegen Georges.
    «Na, Esther?», sagt er zu ihr. «Noch ein bisschen Bewegung vor dem Abendessen?»
    Esther hält die Hand immer noch wie eine Pistole: zwei Finger gerade nach unten gestreckt.
    «Tolle Rede», sagt sie zu ihm.
    In seinem schwarzen Anzug wirkt er fast zierlich, sein frischfrisiertes Haar glänzt. Ich

Weitere Kostenlose Bücher