PopCo
während er auf dem Herd die Pfanne heiß werden lässt.
«Was?», fragt er noch einmal.
«Wenn sie herausfinden, was ich weiß, dann bin ich …»
«Was bist du?»
«Es ist nur … bitte … bitte sprich nicht mehr darüber, ja? Denk doch an Alice.»
«Ich denke die ganze Zeit nur an Alice.» Mein Vater faucht jetzt fast. «Warum glaubst du denn sonst, dass mir das alles so
wichtig ist? Diese Sache … Dieser …» Er scheint nach dem richtigen Wort zu suchen, findet es aber nicht. «Das alles eben … Für dich ist das immer nur ein Spiel. Ein Zeitvertreib, eine intellektuelle Herausforderung, so wie deine verdammten Kreuzworträtsel.
Und jetzt, wo es uns mal etwas nützen könnte, wo es nicht nur Spielerei ist, sondern Realität – jetzt willst du das einfach
so wegwerfen. Du wirfst es weg wie alten Plunder und …»
«Oh nein. Du bist derjenige, der es als Spiel betrachtet.»
«Ach, hör schon auf. Ständig redest du von Gefahren hier und Gefahren dort … Das ist doch alles nur Einbildung.»
«Keineswegs.» Mein Großvater seufzt. «Aber es ist ja ohnehin nicht deine Entscheidung, sondern meine.»
«Ach ja? Aber du hast immerhin ein Haus. Du hast ein gottverdammtes Haus mit einem gottverdammten Garten und musst dir keine
Gedanken darüber machen, wie du im Leben über die Runden kommst. Schau dir doch an, was wir haben. Und dann überleg dir nochmal,
warum mir diese Sache so wichtig ist.»
«Es ist doch nur ein alberner Traum. Wahrscheinlich existiert er gar nicht. Es ist schon schlimm genug, dass wir uns deswegen
streiten, aber wir werden auf keinen Fall unser Leben für etwas aufs Spiel setzen, das womöglich gar nicht existiert. Das
verbiete ich dir.»
«Was? Du verbietest es mir?» Mein Vater kann offensichtlich gar nicht glauben, dass mein Großvater in diesem Ton mit ihm spricht.
«Ja. Ich verbiete dir, irgendetwas zu unternehmen, das uns in Gefahr bringen könnte.»
«Wenn du es mir bloß sagen würdest, dann könnte ich …Ich würde das Risiko allein auf mich nehmen … Du bräuchtest dich gar nicht daran zu beteiligen.»
«Nein. Und damit ist das Thema für mich beendet.»
Ich sitze die ganze Zeit mit einem Buch daneben und tue, als würde ich gar nicht zuhören. Ich spiele mit meinem Kettenanhänger
und frage mich, ob das Geheimnis darin wohl etwas mit dem Geheimnis zu tun hat, das mein Vater nicht verraten darf.
Denk doch an Alice
. Ich wünsche mir so sehr, dieses Geheimnis zu kennen, dass ich Bauchschmerzen kriege, die fast eine Woche lang anhalten.
Ich habe den Anhänger schon so oft betrachtet, aber ich werde einfach nicht schlau daraus. Es ist ein silbernes Medaillon,
in dem innen eine seltsame Kombination aus Ziffern und Buchstaben eingraviert ist: 2.14488156Ex48 und darunter ein kleines
geschwungenes Ornament.
Denk an Alice. Denk an Beatrice.
Beatrice war meine Mutter. Als es anfing, schwierig zu werden zwischen meinem Großvater (ihrem Vater) und meinem Vater, war
sie schon fast zwei Jahre tot. Ich habe meinen Namen von ihr, meine Bücher und meine ganze Persönlichkeit. Sie hat mir als
Baby ihren Stempel aufgedrückt, und seither weigere ich mich, ihn abzuwaschen. Eines Abends – es war der Winter, als wir kaum
Geld für die Gasuhr hatten und mein Vater fast ständig mit meinem Großvater stritt – nahm mein Vater mir die Kette weg. Er
schrieb sich die Ziffern und Buchstaben ab, kopierte das Ornament und legte sie mir dann wieder um den Hals. Anscheinend glaubte
er, ich schliefe. Manchmal kann man sich über Eltern wirklich nur wundern. Man schläft doch auch nie, wenn sie Weihnachtsmann
spielen, und man schläft erst recht nicht, wenn sie einem geheimnisvolle Gegenstände wegnehmen, um etwas davon abzuschreiben.
Wieso merken die das bloß nicht?
***
Esther und ich observieren den Ausgang des Großen Saals.
«Abwarten, bis sie nach draußen kommen, dann unauffällig unter sie mischen!», kommandiert sie.
«Zu Befehl, Sir», albere ich zurück.
Wenn man einmal davon absieht, dass sie Georges zum Kotzen findet und ich … nun ja … getan habe, was ich eben getan habe, haben Esther und ich mehr gemeinsam, als ich vermutet hätte. Bestimmt spielt sie auch
Go, das tun ja alle hier. Ich frage mich, wie sie wohl spielt: wie sie Ketten bildet, wie weit sie vorausdenkt. Ob sie wohl
auch gleich merkt, wenn sie den einen fatalen Zug gemacht hat, so wie ich das immer merke, selbst wenn das Ende des
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