PopCo
ich einen langen Pass zu Dan, der ihn wundersamerweise
fängt und direkt weiter ins Tor schlägt. 2 : 1.
Ich hätte einmal fast mit Georges geschlafen, darum meide ich jetzt auch seinen Blick, als wir vom Spielfeld gehen. Wir haben
gewonnen und das Spiel mit 3 : 1 beendet. Esther macht tatsächlich den Eindruck, als würde sie gleich abkratzen. Irgendein fürsorglicher Mensch hat Orangen-
und Zitronenschnitze bereitgestellt, und Dan und ich machen uns darüber her, während Esther sich lang neben uns ausstreckt
und gar nicht mehr aufhören kann zu husten.
Keiner weiß von Georges und mir. Er war eines Abends im Büro aufgetaucht, um uns alle zum Essen auszuführen, und wir verstanden
uns auf Anhieb richtig gut. Er gefiel mir. Er hatte etwas Rebellisch-Jungenhaftes, strahlte aber auch große Macht aus. Anfangs
unterhielten wir uns noch über Spielzeug, später dann auch über andere Dinge: einen Experimentalmusiker, den wir beide mochten,
einen Schriftsteller. Es war kein Gespräch im Stil der Konsumfragebögen, die neue Bekanntschaften manchmal durchgehen (
Was ist dein Lieblingsfilm? Deine Lieblingsband? Dein Lieblingsclub? Deine Lieblingsplatte? Dein Lieblingsmodelabel?
); stattdessen unterhielten wir uns darüber, dass der Musiker (von dem ich bis dahin dachte, dass ihn außer mir kein Mensch
kennt) das Bedürfnis in einem auslöst, sich mit ein paar Zitrusfrüchten ins Bett zu legen und sicham ganzen Körper damit einzureiben, und der Schriftsteller so verrückte, halbbewusste Metaphern verwendet, dass man das Buch
am liebsten aufessen würde. Es war eine dieser irgendwie aufgeladenen Nächte in Soho: heiß und schwül, und jeden Moment konnte
es anfangen zu regnen. Als wir das Lokal – natürlich ein Striplokal – verließen, brach das Gewitter los, und wir flüchteten
kichernd in seinen Firmenwagen. Wie weit es ging? Hände auf Brüsten und Oberschenkeln, ein hochgeschobener Rock auf dem Rücksitz,
Finger, die sich dem Bund meines Höschens näherten, und dann … Dann sagte ich Stopp. Man schläft schließlich nicht mit dem Chef. Das geht einfach nicht. Dabei wollte ich ihn – ich wollte
ihn wirklich, auch wenn ich bis heute nicht weiß wieso. Wie kann man sich bloß zu einem Mann hingezogen fühlen, der mindestens
zehn Jahre älter ist und regelmäßig mit Frauen, die auch noch für ihn arbeiten, in Striplokale geht, ohne einen Gedanken daran
zu verschwenden, dass ihnen das vielleicht unangenehm sein könnte? Einem Mann, der so viele Unternehmensanteile besitzt, dass
es schon fast wieder obszön ist, und dazu vermutlich noch eine Ehefrau in New York? Offensichtlich geht er sogar zur Maniküre.
Und trotzdem war es mit ihm fast wie … nicht wie im Film, das hätte mich längst nicht so sehr gereizt. Es fühlte sich eher an, als wären wir in einem Comic oder
einer Graphic Novel, sicher umschlossen von den einzelnen Bildern auf der Seite, während ringsum das Böse tobt wie tintenschwarze
Regentropfen. An einem sicheren Ort, einem heimlichen, dunklen Platz, der nur bei Nacht existiert: einem Zufluchtsort, vielleicht
auch einer völlig anderen Identität. Geheimnisse wirken sowieso nur bei Nacht. Vielleicht war ich deshalb nicht fähig, es
durchzuziehen. Vielleicht wusste ich ja schon, dass ich den Morgen nicht würde ertragen können. Und man muss Georges zugutehalten,
dass er die Episode nie gegen mich verwendet und es seither auch nicht mehr erwähnt hat.Wahrscheinlich hat er es längst vergessen. Vorhin hat er mir zwar zugezwinkert, aber das macht er wohl mit allen.
«Alice?» Das ist Dan.
«Hm?»
«Wir müssen gleich wieder aufs Spielfeld.»
«Großer Gott.»
Hinterher kriegen wir Formulare zum Ausfüllen, wie die Kinder aus den Fokusgruppen.
Gesamteindruck vom Spiel? Spielbarkeitspotenzial? Beurteilung der verwendeten Begriffe?
In dem Stil geht es weiter. Und dann, ganz zum Schluss:
Welchen Namen könnte man diesem Spiel geben? Vorschläge erbeten. Der Sieger erhält PopCo-Aktien und eine Kiste Champagner
. Wir haben es bis in die Schlussrunde geschafft, dann aber 2 : 1 gegen die Mannschaft verloren, die beim Aufwärmtraining so viel gelacht hat und in der sowohl Chi-Chi als auch Carmen mitspielten.
Als wir geduscht und wieder umgezogen sind, ist es auch schon Zeit für Georges’ Rede im Großen Saal. Ein Blickwechsel zwischen
Esther und mir genügt, damit wir uns einig werden, dass wir uns das nicht antun. Dan ist
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