PopCo
Fledermäuse. «Die tun nichts.»
«Ich dachte, Fledermäuse können Tollwut übertragen», sagt Dan.
«Da muss man aber schon ganz großes Pech haben», erwidere ich.
«Aber fliegen die einem nicht ins Haar oder so was?», will Esther wissen.
«Nein. Sie navigieren mit Ultraschallwellen. Die hören deine Haare schon auf fünf Kilometer Entfernung.»
Geführt vom Strahl der Taschenlampen, gelangen wir schließlich zum Großen Saal. Aus irgendeinem Grund sind wir dort keineswegs
die Ersten: Auf den Stühlen vor dem Podium sitzen bereits ungefähr zehn Personen. Mac ist offensichtlich noch nicht da. Wir
warten in ehrfürchtigem, vielleicht auch nervösem Schweigen, während immer mehr Leute in den Saal kommen, und man hat das
Gefühl, als wäre man in der Kirche oder bei der Versammlung einer Geheimloge oder einer Sekte. Zum zweiten Mal an diesem Tag
habe ich das Gefühl, eine Kopfbedeckung zu brauchen. Ich halte den Blick auf die Tür gerichtet, suche nach Leuten, die ich
kenne. Da ist eine der Assistentinnen aus unserem Büro und dieser exzentrische Typ aus dem Stockwerk über uns, der immer noch
im Trainingsanzug rumläuft. Die meisten anderen habe ich noch nie gesehen. Eine Frau, die leicht chinesisch aussieht und wie
einGoth angezogen ist, kommt mit einem großen, ziemlich attraktiven Mann herein. Gleich hinter ihnen ist die Frau mit den rosa
Rattenschwänzen, Arm in Arm mit einem weiteren niedlichen, skandinavisch-androgynen Wesen. Dann kommt ein Schwarzer, der sich
betont tough gibt. Er trägt ein hellblaues T-Shirt , und mit seinen diversen obskuren Tattoos sieht er aus, als würde er nachts als Türsteher oder Auftragskiller arbeiten und
tagsüber Kunst oder Philosophie studieren. Das Grüppchen, mit dem er hereinkommt, besteht aus einem Typen im grauen Retro-Anzug,
der aussieht wie ein Sozialarbeiter auf Heroin, einem Langhaarigen mit undefinierbarer Haarfarbe und breitrandiger Brille
und einer großen, stark geschminkten blonden Frau. Dann – und offenbar sind sie die Letzten – betreten der schwarzgekleidete
Typ und die braunhaarige Frau, die mit uns am Tisch gesessen haben, den Saal. Der Mann fängt meinen Blick auf und zieht leicht
die buschigen Augenbrauen hoch, dann setzt er sich und nimmt seine Brille ab, um sie zu putzen. Kurz darauf kommt Mac auf
die Bühne, gefolgt von Georges und einer gewissen Rachel Johnson aus der PopCo-Führungsriege. Sie ist für die Personalabteilung
zuständig, Human Resources oder wie man das inzwischen nennt. Etwas zu demonstrativ entspannt nehmen sie auf drei Stühlen
Platz. Ich überlege, woher sie wohl gewusst haben, wann der richtige Moment für ihren Auftritt ist. Das ist wieder so typisch
PopCo, alles genau zu timen. Wahrscheinlich haben sie jemanden engagiert, der irgendwo in einer dunklen Ecke gestanden und
uns gezählt hat.
«Vielen Dank, dass ihr gekommen seid.» Macs Stimme hallt durch den Großen Saal. «Und entschuldigt bitte die Geheimniskrämerei.
Ein paar von den Gerüchten und Vermutungen, warum wir euch hierher bestellt haben, sind auch bis zu mir gedrungen. Die häufigste
Vermutung war anscheinend, dass ihr gefeuert werden sollt …» Allgemeines nervöses Gelächter.«Dann gab es noch die Varianten, dass ihr etwas falsch gemacht habt, an einen anderen Standort versetzt werden sollt oder
dass eure Produkte eingestellt werden. Den Rest erspare ich euch. Es ist faszinierend zu beobachten, wie Gerüchte entstehen
und wie viele Leute davon beeinflusst werden. Aber ihr werdet ja in Kürze noch einiges mehr über Netzwerke und Gerüchte erfahren.»
Hä?
, fragt mein Hirn. Ich verstehe nur Bahnhof. Netzwerke und Gerüchte? Was?
Mac spricht bereits weiter. «Ich denke, nach all diesen unnötigen Spekulationen sollte ich möglichst schnell zur Sache kommen.»
Er wirft Georges und Rachel einen Blick zu. «Also dann. Seit etwa einem halben Jahr beschäftigt uns im PopCo-Vorstand eine
bestimmte Konsumentengruppe ganz besonders. Es handelt sich um eine Gruppe, die äußerst schwer zu durchschauen, ebenso schwer
zu fassen und bezüglich ihres Geschmacks und ihrer Wünsche ganz außerordentlich kompliziert ist. Wir haben diese Gruppe in
unserer gesamten Unternehmensgeschichte nie ganz zufriedenstellend bedienen können. Um es einmal ganz platt zu sagen: Wir
haben schon alles Mögliche versucht, es aber trotzdem nie geschafft, dieser Zielgruppe genügend Produkte zu verkaufen. Wer
also sind diese
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