PopCo
es genau wie Babbage und versuche, durch Zählen und Faktorisieren der
Zeichen zwischen den sich wiederholenden Buchstabengruppen die Länge des Schlüsselwortes zu erraten. Anschließend versuche
ich dann aber, eine Abkürzung zu finden,weil ich nun mal eine große Vorliebe für Abkürzungen habe und keine so große Vorliebe dafür, alles «richtig» zu machen und
grundsätzlich immer den längeren Weg zu wählen. Deshalb suche ich als Nächstes nach allen sich wiederholenden Trigrammen im
Text, gehe sie nacheinander durch und probiere jedes als
the
aus. Bei unserem obigen Beispiel hätte ich Glück, weil das erste Wort tatsächlich «
the »
lautet. Dann verfolge ich die Buchstaben KHM mit Hilfe des Vigenère-Quadrats zurück: Wenn K für T steht, muss die verwendete
Verschlüsselungsreihe die unter R sein, wenn H gleich H ist, muss es die Reihe A gewesen sein und so weiter. Auf diese Weise
komme ich vergleichsweise schnell zu folgenden Grundannahmen, mit denen ich weiterarbeiten kann: Ich habe ein Schlüsselwort,
dessen Buchstabenanzahl ein Faktor von 12 ist und das höchstwahrscheinlich mit den Buchstaben RAI beginnt. Mein Instinkt sagt
mir sofort, dass dieses Wort RAIN lauten könnte. Nach einem Blick ins Wörterbuch finde ich aber noch andere Wörter, die ebenfalls
in Frage kommen: RAID, RAIL und RAISIN, die jeweils mit RAI anfangen und deren Buchstabenzahl einem Faktor von 12 entspricht.
Im nächsten Schritt probiere ich sie einfach alle aus. Und sobald ich die Buchstaben des Wortes RAIN über meinen Geheimtext
schreibe, entschlüsselt er sich praktisch wie von selbst.
Ich betrachte die Seite meines Notizbuchs, auf der ich Folgendes notiert habe:
Die Botschaft ist einfach zu kurz, um brauchbare Muster darin zu finden. Und die meisten kurzen Sätze enthalten ohnehin keine
nützlichen Wiederholungen der Wörter
the
und
and
. Ichmuss gähnen. Warum hat man mir das geschickt? Soll ich es nun entziffern oder nicht? Ich sitze am Tisch, lausche den Geräuschen
draußen in der Dunkelheit und denke mir, wie blödsinnig das alles ist. Wozu verschickt jemand eine Nachricht ohne Schlüssel?
Ich habe sie ja schließlich nicht abgefangen – sie war doch an mich gerichtet!
Ich starre so lange auf das Blatt, bis es vor meinen Augen verschwimmt. Die chiffrierten Buchstaben laufen ineinander, vermischen
sich mit dem PopCo-Logo in der oberen linken Ecke und dem Aufdruck «Mit den besten Empfehlungen» in der Mitte des Zettels.
Und plötzlich denke ich: Ist der Schlüssel vielleicht doch enthalten, als Teil der Nachricht? Vigenère arbeitete mit sogenannten
«Initialschlüsseln» – gibt es so etwas vielleicht auch hier?
Während mein Herz einen Trommelwirbel vollführt und mein Hirn plötzlich wieder hellwach ist, schreibe ich den Geheimtext nochmals
ganz säuberlich in mein Notizbuch und notiere dann die Buchstaben POPCO darüber. Mit Hilfe eines improvisierten Vigenère-Quadrats,
das ich auf ein Blatt Papier gekritzelt habe, komme ich zu folgendem Ergebnis:
I knew you would be able to read this
. Was soll denn das für eine Botschaft sein? Wer hat mir das geschickt? Wer will gewusst haben, dass ich diesen Text entziffern
kann? Das alles gefällt mir ganz und gar nicht, und dass es bereits tiefe Nacht ist, macht es auch nicht besser. Ich kann
jetzt unmöglich einschlafen, also gehe ich einfach im Zimmer auf und ab und rauche Selbstgedrehte, bis der Himmel draußen
die bläuliche Farbe eines ruhigen Meeres annimmt. Erst dann gehe ich ins Bett.
TEIL ZWEI
Bertrand Russell und G. H. Hardy hatten einst den gleichen «schrecklichen Traum». Wie Hardy erzählt, träumte Russell einmal, er wäre «in der obersten
Etage der Universitätsbibliothek Anno Domini 2100. Ein Bibliotheksgehilfe geht mit einem großen Kübel durch die Regale, nimmt ein Buch nach dem anderen heraus, mustert es kurz,
stellt es wieder zurück oder lässt es in den Kübel fallen. Schließlich kommt er zu drei großen Bänden, der letzten erhaltenen
Ausgabe [seines grundlegenden Mammutwerks] von
Principia Mathematica
, wie Russell unschwer erkennt. Er nimmt einen der Bände heraus, blättert ein paar Seiten durch, scheint einen Moment verwundert
angesichts der seltsamen Symbolik, klappt den Band wieder zu, wiegt ihn unschlüssig in der Hand und zögert …»
Paul Hoffman, Der Mann, der die Zahlen liebte
(Übersetzung: Regina Schneider)
KAPITEL ZEHN
Wenn man erst neun ist, dann ist
Weitere Kostenlose Bücher