PopCo
sie anfängt zu reden, streicht sie sich das lange Haar hinters Ohr. Ich glaube,
ich habe sie bewusst noch nie sprechen hören. Sie hat einen weichen Akzent, den ich nicht recht einordnen kann, der für meine
Ohren aber entfernt keltisch klingt.
«Hallo. Ich heiße Chloë, falls ihr das noch nicht wisst. Ich bin bei der Videospielabteilung in Berkshire und arbeite dort
im Bereich Rollenspiele, Konzeptdesign und Handlungsentwicklung. Ja, und Segeln habe ich durch meine Eltern gelernt, praktisch
von klein auf. Sonst gibt es eigentlich nicht viel zu sagen. Ich bin auch schon allein mit kleineren Booten gesegelt. Und
ich habe ein paar Segelscheine. Aber das war es jetzt wirklich.»
«Vielen Dank, Chloë», sagt Gavin.
Der Nächste ist Frank, der Typ, der wie eine Mischung aus Türsteher und Philosophiestudent aussieht.
«Ja … äh … hi. Ich arbeite mit Kieran beim Entwicklungsteam Virtuelle Welten in Berkshire. Ich bin in einem Kinderheim aufgewachsen,
das direkt am Fluss lag, da haben wir alle Segeln gelernt. Als ich dort weg bin, habe ich eine Zeitlang auf Schiffen angeheuert,
bevor ich bei PopCo angefangen habe.»
Als Nächstes ist Xavier dran, ein Designer aus Spanien, der sein eigenes Segelboot besitzt. Dann Imogen, die Assistentin aus
Battersea, die jeden Sommer mit ihrem Freund segeln geht. Und schließlich Dan. Was er sagt, ist auch für mich neu; ich hatte
keine Ahnung, dass er segelt.
«Mein Großvater war vor dem Krieg Fischer in Dartmouth», sagt er. «Er hat meinem Vater das Segeln beigebracht, und ich hab’s
dann von den beiden gelernt. Mehr kann ich eigentlich gar nicht dazu sagen. Direkt nach dem Studium war ich kurz bei einer
Firma, die Rennjachten entwarf, bevor ich mich bei PopCo beworben habe. Ich bin schon ziemlich lange nicht mehr gesegelt,
aber ich weiß noch genau, wie’s geht. Das ist wie Fahrradfahren. Irgendwie verlernt man es nie.»
«Dartmouth? So, so», kommentiert Gavin. «Da fahren wir demnächst hin, du wirst also ein paar altbekannte Orte wiedersehen.
Gut. Ich würde jetzt gern etwas genauer hören, was die fünf hier wissen. Vielleicht könnt ihr anderen eine halbe Stunde Pause
machen, und wir treffen uns wieder um … sagen wir viertel vor elf?»
Mir ist aufgefallen, dass sich von den Segelerfahrenen keiner an die Vorgaben gehalten und von seinen Stärken und Schwächen
gesprochen hat. Das macht niemand freiwillig: Um an solche Informationen zu kommen, muss man die Leute schon ganz direkt fragen.
Esther und ich treten zusammen hinaus in den Sonnenschein.
«Ich habe ziemliche Angst vorm Ertrinken», sagt sie.
«M-hm. Ich auch.»
Wir legen uns ins Gras und zünden uns Zigaretten an. Ben und Hiro kommen vorbei, und Esther winkt ihnen, sich zu uns zu setzen.
«Der da hat gestern übrigens nach dir gesucht», sagt sie zu mir. «Habt ihr euch gefunden?»
«Ja», sage ich. «Haben wir, danke.»
Hiro lässt sich neben mich ins Gras fallen. «Hi», sagt er. «Alles klar?»
«Wir sprachen gerade darüber, dass wir Angst vorm Ertrinken haben», sage ich.
«Ach, hier ist doch gar kein Wasser. Ich glaube, das bleibt alles nur theoretisch.»
Ben hat sich ebenfalls gesetzt. Er putzt mit dem Hemdzipfel seine Brille.
«Und was machst du? Bei PopCo, meine ich?», frage ich Hiro.
«IT», sagt er viel zu schnell.
«Ach, das macht Esther auch», sage ich. «Stimmt’s, Esther?»
Sie wirft mir einen seltsamen Blick zu. «Ja», sagt sie dann.
Esther und Hiro wirken plötzlich seltsam gehetzt. Sie sitzen ganz ruhig da, und trotzdem hat man den Eindruck, dass sie einander
umkreisen wie wirbelnde Quantenteilchen. Sie schauen sich nicht mal mehr an. Warum bloß? Was hatte Mac am Samstagabend noch
mit ihnen zu besprechen? Vielleicht brauchen I T-Mitarbeiter eine Sondergenehmigung, um für die Zeit hier freigestellt zu werden. Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass Esther
gar nicht in der I T-Abteilung arbeitet, sonst hätte sie mir das doch auch an dem Nachmittag im Pavillon erzählt, anstatt zu behaupten, dass sie nicht sagen
darf, was sie macht.
«Ich kann noch nicht mal richtig schwimmen», bricht Esther das lastende Schweigen. «Nur ein bisschen paddeln. UndBrustschwimmen mit dem Kopf in der Luft.» Sie macht es uns vor, und wir müssen alle lachen.
«Wir kriegen sicher Schwimmwesten», sagt Ben.
«Brustschwimmen …», kommentiert Hiro. «Hübsche Vorstellung eigentlich.»
Ich lasse mich ins Gras zurücksinken,
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