Poppenspael
natürlich frei, aber es wäre besser, Sie
sagen sofort die Wahrheit. Glauben Sie mir, wir bekommen so oder so
heraus, was dahinter steckt.«
»Das sind alles
nur dumme Gerüchte!«
»Nun packen Sie
schon aus, die Lage wird nicht besser, wenn Sie nicht
reden!«
»Ich soll mich
angeblich einer Schülerin unsittlich genähert haben, wird
hinter meinem Rücken erzählt. Ich bin ziemlich sicher,
dass der Ørsted-Junge diese hanebüchene Lüge in
die Welt gesetzt hat. Da ist natürlich überhaupt nichts
dran, aber das ist ja sowieso egal, denn wenn so ein Gerücht
erst einmal in der Welt ist, glaubt es auch jeder
gleich.«
»Warum sollte
der Junge das gemacht haben?«
»Was weiß
ich? Vielleicht kann er mich nicht ausstehen. Zumindest wird an der
Schule schon getuschelt.«
»Haben Sie den
Jungen zur Rede gestellt?«
»Nein, wie
sollte ich? Es ist schließlich nur ein Gerücht. Ich
weiß ja nicht hundertprozentig, ob der Junge wirklich
dahintersteckt.«
*
Eine Stadt in Angst.
Nein, denkt die mittelgroße Frau und streicht über ihren
struppigen Kurzhaarschnitt, das klingt nicht dramatisch genug. Das
muss einfach powermäßiger rüberkommen, so etwa wie
Panik in Husum oder noch besser Husums Bürger in panischer
Angst.
Maria Teske lässt
einen Schlagzeilenentwurf nach dem anderen an ihrem inneren Auge
vorbeiziehen, während sie sich nebenbei Nudelauflauf mit
Brokkoli in den Mund schaufelt.
Think Big ist der
Stressauslöser. Vor genau fünf Minuten hatte er sie
angerufen und ihr gesteckt, dass die Husumer Kripo für 11.30
Uhr eine Pressekonferenz zu den Mordfällen anberaumt hat.
»Es wäre nicht schlecht«, hatte er beiläufig
fallen gelassen, »wenn du dir schon Gedanken zum morgigen
Aufmacher machst. Dazu möchte ich die neusten Fakten für
die Mittwochausgabe, klar! Die ganze Stadt lechzt nach
Informationen. Wer waren die Frauen? Wie ist der Mord abgelaufen?
Gibt es Verdächtige? Mit solchen Inhalten geht unsere
Rundschau morgen weg wie warme Semmeln.«
»Und wie stellst
du dir das vor, soll ich selbst Kriminalpolizei spielen und auf
eigene Faust ermitteln?«
»Ich zähl
auf dich«, hatte er nur gesagt und aufgelegt.
Wieder einmal muss die
Journalistin feststellen, dass sie ihr Essen ohne jeglichen Genuss
runtergeschlungen hat. Der Historische Braukeller füllt sich
langsam, und sie kramt eine Schachtel Cohiba Minis aus der
Handtasche, zieht ein Zigarillo heraus, steckt ihn in den Mund und
zündet ihn an. Der milde Havanna-Tabak holt sie auf den Boden
zurück und ordnet ihre wirren Gedanken.
Die Schlagzeile kann
noch warten, entscheidet sie, die ist im Moment am unwichtigsten.
Außerdem fällt sie mir bestimmt nebenbei ein. Vielleicht
könnte ich mir das Gespräch mit Susan Biehl zunutze
machen. Was die von ihrer Freundin preisgegeben hat, ist zumindest
Stoff für eine kleine Story am Rand.
Gegen die
Gewissensbisse, die sich automatisch bei solchen Überlegungen
einschleichen, hat die Journalistin ein altbewährtes Rezept:
schlechte Gefühle ignorieren und nicht aus den Augen
verlieren, was die Butter aufs Brot bringt. Die saubere Dame hat
immerhin mit zweien dieser Puppenspieler gleichzeitig
angebändelt, bevor sie ermordet wurde, auch keine feine
englische Art. Außerdem sind Herz und Schmerz der Pfeffer in
jedem Artikel. Augen zu und durch, sagte schon immer mein innerer
Schweinehund.
Zwei Versuche, die
Bedienung auf sich aufmerksam zu machen, sind bereits
fehlgeschlagen. Maria Teske hat keine Lust, länger zu warten,
geht direkt bei der Kasse vorbei und bezahlt. Vom Ausgang des
Restaurants sind es nur wenige Minuten Fußweg bis zum Husumer
Schloss. Der Schlosshof liegt noch im Schatten des Gebäudes.
Direkt unter dem Turm, der sich düster vor dem blauen Himmel
abzeichnet, stehen zwei Wagen, ein VW-Bus mit der Aufschrift
›Seelenfaden-Puppentheater Karlsruhe‹ und daneben ein
Polizeiwagen. Die Journalistin geht daran vorbei auf den
Haupteingang zu.
Das Klackern ihrer
Schuhe auf den Pflastersteinen klingt plötzlich wie der Takt
ihrer ablaufenden Lebenszeit. Sie fühlt sich von einer
höheren Macht ertappt, die ihr zu verstehen geben will, dass
sie hier nur aus reiner Selbstsucht die Totenstille
stört.
In der Vorhalle
hängen an den Stellwänden mehrere Plakate von den
Stücken, die in den nächsten Tagen zur Aufführung
kommen sollen. ›Schiffbruch mit Tiger‹, liest sie im
Vorbeigehen, ein Puppenspiel des Seelenfaden-Puppentheaters
Karlsruhe, heute 20 Uhr im Rittersaal. Darüber klebt ein
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