Poppenspael
roter
Zettel mit der Aufschrift: Das Festival geht weiter!
Der Förderkreis
hat also beschlossen, die Veranstaltungen nicht abzusagen, denkt
Maria Teske, steigt die Holztreppe zum Rittersaal hinauf, sieht,
dass die Eingangstür offen steht und lugt vorsichtig in den
Raum hinein. Auf der Bühne ist der rostige Rumpf eines
Schiffes aufgebaut worden. Maria Teske erkennt es nur an den
Bullaugen. Ansonsten ist niemand zu sehen, nur zwei Stimmen dringen
an ihr Ohr, die sich in einem deutlichen Frage- und Antwortdialog
befinden. Instinktiv schleicht sie sich näher heran, denn
alles, was im Moment hinter den Kulissen des Festivals gemunkelt
wird, liegt automatisch in ihrem beruflichen Interesse.
»Die drei
ermordeten Frauen sind Ihnen alle bekannt gewesen?«,
hört sie eine dunkle Frauenstimme, ohne dass sie etwas sehen
kann.
»Mehr oder
weniger«, antwortet eine weiche Männerstimme. »Ich
hab natürlich alle auf dem Festival immer mal irgendwo
gesehen, zumal es nach der letzten Vorstellung jedes Mal ein
Abschlussgespräch gab.«
»Und was
heißt mehr oder weniger, Herr Pohlenz?«
»Na ja, Frau
Ahrendt war zum Beispiel von der Festivalleitung für mich
abgestellt. Sie hat mir die Räume aufgeschlossen, mir den
Stromanschluss gezeigt und alles andere, was ich für meine
Vorstellung wissen musste.«
»Das
heißt, Sie kannten Frau Ahrendt sozusagen näher, oder
wie ist das zu verstehen?«
»Worauf wollen
Sie hinaus, Frau Kriminalinspektorin?«
»Hauptkommissarin Silvia
Haman!«
»Also, Frau
Hauptkommissarin, näher scheint mir in diesem Zusammenhang
doch etwas übertrieben. Der Kontakt war ausschließlich
auf den Festivalablauf beschränkt, das war auch schon
alles.«
»Ist Ihnen
vielleicht etwas Ungewöhnliches aufgefallen? Haben Frau
Ahrendt oder die beiden anderen Frauen sich in irgendeiner Weise
merkwürdig oder andersartig verhalten?«
»Andersartig?
Was meinen Sie damit?«
»Das sind
Routinefragen, Herr Pohlenz. Wenn Ihnen nichts Besonders
aufgefallen ist, reicht mir das ja schon.«
»Also, mir ist
nichts aufgefallen.«
»Danke! Sind Sie
die nächsten Tage noch in Husum zu
erreichen?«
»Ich hab morgen
Nachmittag noch einen Auftritt, und spätestens am Donnerstag
reise ich wieder nach Karlsruhe
zurück.«
»Okay, Anschrift
und Telefonnummer hab ich. Wenn’s noch Fragen gibt, wenden
wir uns an Sie.«
Maria Teske
registriert, dass das Gespräch beendet ist und drückt
sich automatisch in den Schatten des Bühnenaufbaus. Es folgt
ein dumpfes Dröhnen, jemand ist von der Bühne gesprungen.
Einen Moment später sieht die Journalistin eine große
Gestalt mit breiten Schultern auf den Ausgang zugehen. Sie bleibt
solange in ihrer Deckung, bis die Kripobeamtin den Saal verlassen
hat.
Der Typ hat schon eine
interessante Interpretation von Wirklichkeit, fasst sie das
Gespräch für sich zusammen und setzt sich in die Mitte
der ersten Stuhlreihe direkt vor die Bühne. Hinter der
Schiffsrumpfkulisse wird in der Zwischenzeit gehämmert. Maria
Teske hustet, erst leise, und als es darauf keine Reaktion gibt,
demonstrativ lauter. Der kleine Trick funktioniert, in einem der
Bullaugen erscheint die linke Hälfte eines Gesichts. Die
Journalistin steht demonstrativ auf, hebt den Arm und winkt, bis
der Mann auf der Bühne auftaucht.
»Wo kommen Sie
denn her, und wer sind Sie überhaupt?«, fragt er leicht
affektiert.
»Erstens stand
die Tür offen und zweitens bin ich Maria Teske, Journalistin
von der Husumer Rundschau.«
»Ah, Sie sind
sicher wegen meinem Stück da?«, fragt er mit schlagartig
freundlicher Stimme. »›Schiffbruch mit Tiger‹
ist nämlich eine fantastische Geschichte, die in Deutschland
noch nicht erschienen ist. Ich hab den Roman letztes Jahr im Urlaub
gelesen, in Kanada, und mir gleich spontan die Rechte für die
Puppenbühne besorgt.«
»Haben Sie
eigentlich keine Probleme mit dem, was gerade hier in der Stadt
passiert ist?«, fragt Maria Teske und nimmt wahr, wie sich
der schlanke Mann erstaunt mit seinen feingliedrigen Fingern
über den Dreitagebart fährt.
»Das ist eine
schreckliche Sache«, antwortet er nach einer kleinen Pause,
»aber ich, der fast täglich auf einer Bühne steht,
muss mit solchen Umständen klarkommen. Als Profi hat man da
keine Wahl, der eigene Seelenzustand interessiert das Publikum
nicht.«
»Aber bei diesem
schrecklichen Verbrechen handelt es sich doch wohl nicht nur um ein
übliches Unwohlsein, oder?«
»Ich weiß
nicht, worauf diese Frage abzielt«, fragt
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