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Poppenspael

Poppenspael

Titel: Poppenspael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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Gehirn
entsteht. Ein eigenständiges Bewusstsein ist für mich nur
eine Illusion. Der Mensch ist sozusagen nur in der Rolle eines
Beobachters, er kann die ganze Welt als eine Art Mitteilungen des
Bewusstseins sehen, die sich innerhalb der Quantengesetze
entscheiden. Es gibt kein individuelles Ich, das im Gegensatz zu
anderen ›Ichs‹ steht.«
    »Die
Besessenheit, euer Ich zu bewahren, ist ein wahrhaft kosmischer
Witz«, klingt Swensen plötzlich die Stimme seines
Meisters in den Ohren. Die Idee von einem allumfassenden
Quantengeist erinnert ihn an eine Geschichte, die Lama Rhinto
Rinpoche ihm erzählte, bevor er den Tempel in der Schweiz
endgültig verließ:
    »Ein Mann ist
mit einem Kahn auf einem Fluss unterwegs. Da sieht er in der Ferne
einen anderen Kahn auf sich zu fahren. »Vorsicht, Mann,
passen Sie doch auf!«, brüllt er verärgert zum
anderen Bootsmann hinüber und fuchtelt wild mit seinen Armen.
Doch der ändert seinen Kurs nicht, hält nur stur weiter
auf ihn zu. Als das Boot bis auf zehn Meter heran ist, erkennt der
Mann plötzlich, dass niemand in dem anderen Boot sitzt. Seine
Wut ist wie weggeblasen. Er legt sich ins Ruder und weicht dem
leeren Kahn im letzten Moment aus.«
    »Ich glaub, ich
habe da eine Geschichte für Sie«, sagt der
Hauptkommissar zum Puppenspieler, »die für die Idee von
einem Quantengeist steht und beweist, dass ein losgelöstes Ich
sehr schnell Schiffbruch erleiden kann.«

10
    »Wir nehmen uns
am besten jedes Mordopfer separat vor und tragen zusammen, was wir
in der Zwischenzeit zu den einzelnen Personen wissen«,
beginnt Colditz die Frühbesprechung.
    Die gesamte Soko
Schlosspark hat sich vor der Pinnwand versammelt, die mit zwei
schwarzen Klebestreifen in drei Felder eingeteilt wurde. In jedem
Drittel hängt das Foto einer ermordeten Frau mit dem
dazugehörigen Namen auf einem Pappstreifen. Swensen hat
Mühe, sich zu konzentrieren und hält gedankenversunken
seine Tasse grünen Tee in der Hand. Die vergangene Nacht
steckt ihm in den Knochen.
    Er hatte besonders
schlecht geschlafen. Die Idee von einem Quantengeist war durch
seinen Kopf gespukt, hatte ihn regelrecht aufgeputscht. Mehrmals
war er zwischen 3 und 5 Uhr aufgewacht und grübelnd durch die
Wohnung gewandert. Die verrückte Quantentheorie des
Puppenspielers hatte ihn völlig durcheinandergebracht. Marcus
Benders Beispiel von der Wechselwirkung zwischen Protonen und
Neutronen hielt ihn hellwach.
    »Im Atomkern
fliegen sogenannte Mesonen mit Lichtgeschwindigkeit zwischen
Protonen und Neutronen hin und her«, hatte ihm Bender gestern
erklärt. »Sie sind die Bindungskraft im Kern, ihre
Instabilität gibt dem Ganzen die nötige Stabilität.
Ein einzelnes Quantenobjekt ist nicht wirklich, wenn wir unter
Wirklichkeit Unabhängigkeit, Substanz und
Selbstständigkeit verstehen.«
    Die erstaunliche
Ähnlichkeit der Quantenphysik mit den Erkenntnissen des
Buddhismus hatte Swensen zuerst sehr verblüfft. Doch die
Übereinstimmung mit dem, was er damals von Lama Rinpoche
gelehrt bekam, war letztendlich nicht von der Hand zu
weisen.
    »Leer sein
besagt nur, dass jede Erscheinung ohne Eigennatur ist und sie
deshalb nicht so bleibt, wie sie ist. Die Dinge der Welt pendeln
zwischen zwei Polen, und so befindet sich alles in einem steten
Wandel.«
    »Dürfen wir
alle an deinen Überlegungen teilhaben, Jan?«, wird
Swensen aus seinen Gedanken gerissen. »Jan, hallo, bist du
ansprechbar?«
    Der Hauptkommissar
hebt den Kopf und guckt wie durch einen Schleier in die Runde.
Colditz steht direkt vor ihm und grinst.
    »Oh, muss wohl
kurz weggetreten sein, aber ich habe gerade über das
Gespräch mit Bender nachgedacht, Marcus Bender, einer dieser
Puppenspieler vom Festival.«
    »Bender? In
welcher Beziehung steht der Mann zu unserem Fall?«, fragt
Colditz und stellt fest, dass Swensen nicht begreift, worauf er
hinauswill. »Ich wollte alle Personen, mit denen ihr redet,
einem der Opfer zuordnen. Also, wo darf ich den Namen von diesem
Bender anpinnen?«
    »Bei Ronja
Ahrendt«, sagt Swensen. »Ich fasse am besten kurz
zusammen, was mir über das Mordopfer bisher bekannt ist.
Unsere Krankenschwester hatte eine freizügige
Lebensauffassung. Ich will das nicht werten, aber sie ging
offensichtlich ziemlich unkompliziert mit ihren Beziehungen um. Hat
gleich zwei Puppenspielern vom Festival schöne Augen gemacht,
und beide Herren haben sich nicht abgeneigt gezeigt. Einer von
ihnen ist dieser Bender, Marcus Bender aus Hamburg, ein

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