Poppenspael
drei sprechen lauter als sonst miteinander, lachen sich Mut zu
und betreten den dunklen Sandweg. 20 Sekunden später werden
ihre Silhouetten vom Dämmerlicht des Schlossparks und dem
unwirklichen Schattenspiel der alten Bäume
verschluckt.
2. Teil
7
Swensen schließt
die Augen, richtet sein Kreuz gerade auf und legt die Hände in
seinem Schoß flach aufeinander, die rechte auf die linke,
sodass beide Daumen sich an der Kuppe berühren. Er versucht,
seinen Geist zu zentrieren, beginnt, seinen Atem zu beobachten.
Einatmen, die Luft gleitet über die Nasenwand, fällt in
ihn hinab, dehnt die Lungen. Ausatmen, die Luft strömt sachte
zurück in die Welt. Nehmen und geben, halten und loslassen. Es
atmet, es atmet ihn, er ist Atem. Durch den Nebel öffnet sich
ein Raum, der langsam an Tiefe gewinnt. Wie Kumuluswolken ziehen
leuchtendblaue Schwaden heran, drehen Wirbel und werden zu
winzigkleinen Kugeln, die, einem Sternenhimmel gleich, an seinem
inneren Auge vorbeiziehen. Dahinter glimmt ein orangefarbenes
Licht, füllt seinen inneren Blick, legt sich langsam über
das kalte Blau. Seine Gedanken ziehen vorbei: Wenn ich heute nicht
endlich mit Packen anfange … ich wollte Mielke doch noch
fragen, ob er mir helfen … die Gier nach Geld ist leer
… das ist jetzt der neunte Einbruch … Püchel
wird bald ungeduldig. Nicht anhaften, lass alles sein, die Gedanken
sind nur von dir selbst geschaffen. Der Geist geht an der Zeit
entlang. Es gibt nur das Sitzen im Hier und Jetzt. Die Welt ist
mein Körper, die Erde meine Haut.
Wärme
durchströmt ihn, hüllt ihn ein, es herrscht himmlische
Ruhe. Als er die Augen öffnet, kann er nicht mehr
einschätzen, wie lange er so in sich versunken war. Etwas
hindert ihn daran, sofort aufzustehen. Er sitzt eine Weile
entspannt auf dem Sitzkissen und schaut in die flackernden
Teelichter. Der kleine Altar ist leer, sein Amoghasiddhi Buddha hat
den Umzug in Annas Dachzimmer bereits hinter sich. Im Nebenzimmer
warten die letzten leeren Pappkartons, die bis zum nächsten
Samstag noch gefüllt werden müssen. Packen ist
überhaupt nicht sein Fall.
Eigentlich komisch,
denkt er. Im alltäglichen Leben legst du größten
Wert auf Struktur, alles wird bis ins Kleinste durchorganisiert,
aber zu beurteilen, wie ein paar Sachen am besten in einen
Pappkarton passen, bereitet dir schon Kopfzerbrechen.
Swensen steht auf,
geht hinüber in seinen Arbeitsraum und überlegt, wie er
am besten anfängt. Die Entscheidung fällt ihm schwer,
schon allein wegen der Tatsache, dass der Raum, in den er bei Anna
einziehen wird, viel zu klein für alle seine Gegenstände
ist, geschweige denn sämtliche Möbel. Das heißt, er
muss vorher aussortieren, was er demnächst noch wirklich
braucht und was auf den Dachboden ausrangiert werden
soll.
Du hast alle Zeit der
Welt, denkt er, fang einfach an. Er nimmt eine von den Faltpappen
und beginnt, daraus den ersten Umzugskarton
zusammenzubauen.
Was heißt das
eigentlich: Zeit haben? Zumindest nicht zu hetzen. Zeit muss erst
erlebt werden, um ihre übergeordnete Wahrheit zu erkennen.
Seine Gedanken beginnen ein Eigenleben, die sein Tun spöttisch
kommentieren. Das Körperlich-Materielle, denkt er,
während der Karton unter seinen Händen Form annimmt,
wäre ohne das Geistige, es auch wirklich tun zu können,
gar nicht möglich. Gib es zu, Swensen, du hast nur keine Lust
zum Packen.
Er greift nach einem
Stapel CDs, um dem Gedankenspuk ein Ende zu bereiten. Sein Blick
bleibt an der oberen Plastikhülle hängen, Castel del
Monte. Er betrachtet das Coverbild mit der achteckigen Kathedrale,
die geheimnisvoll im Abendlicht der apulischen Ebene auf einem Berg
steht. Er hört im Geist die Tuba-Klänge des Jazzers
Michel Godard, der virtuos ein Akkordeon und eine Klarinette
begleitet. Hey, die hast du schon ewig nicht mehr gehört,
denkt er, steht auf, legt die Scheibe in den
CD-Player und
drückt sich bis zu Take acht vor. Noch bevor die ersten
Töne einsetzen, klingelt das Telefon. Automatisch nimmt er
ab.
»Swensen!«
»Jacobsen hier!
Jan, kannst du bitte sofort in den Schlosspark kommen? Wir brauchen
dich hier dringend!«
»Hört sich
ja ziemlich wichtig an, Rudolf. Was ist los?«
»Es gab mehrere
Anrufe von Leuten, die offenbar Schüsse im Schlosspark
gehört haben«, hört Swensen Jacobsen sagen. Die
Stimme klingt irgendwie distanziert, und im Hintergrund beginnen
Klarinette, Tuba und Gesang das Ganze auch noch rhythmisch zu
untermalen. »Ich hab sofort ’ne
Weitere Kostenlose Bücher