Poppenspael
Hals zu. Wie ein Leichentuch
liegt die Luft im Raum.
»Wir können
jetzt nicht so tun, als wäre das nicht geschehen«, sagt
eine versteinernd wirkende Frau mit rundem Gesicht und langen
schwarzen Haaren. Ihre Worte klingen schwerfällig, und sie
stößt beim Sprechen leicht mit der Zunge an. »Wir
müssen das Festival abbrechen, finde ich. Da wird gelacht
… das Publikum lacht, das geht doch nicht, das können
wir doch nicht zulassen!«
Eine bleierne Stille
breitet sich aus. Die Journalistin zieht sich mit Susan Biehl in
eine dunkle Ecke zurück.
»Wenn ich im
Voraus geahnt hätte, was Ronja zustößt«,
flüstert sie leise, und die feuchten Augen glänzen in dem
wenigen Licht, das durch die Ladenscheiben fällt, »wir
hätten uns dann bestimmt nicht gestritten.«
»Sie hatten
einen Streit?«, flüstert Maria Teske
ebenfalls.
»Ja, ein dummes
Geplänkel, völlig unnütz.«
»Machen Sie sich
bloß keine Vorwürfe. Sie sollten sich unbedingt einmal
aussprechen, Sie Arme. Ich mache Ihnen einen Vorschlag, wir setzen
uns gleich in einem Café zusammen und Sie reden sich alles
von der Seele, einverstanden?«
Die junge Frau nickt
und drückt der Journalistin dankbar die Hand. Im Raum erhebt
sich eine elegant gekleidete Frau und schlägt mit einem
Löffel gegen ihre Kaffeetasse. Auf dem länglichen Gesicht
mit den auffällig vorstehenden Wangenknochen sitzt eine
rechteckige, goldgeränderte Brille.
»Selbst wenn der
Vorstand wirklich in Betracht zieht, das Festival
abzubrechen«, stellt sie fest, »wird das überhaupt
nicht gehen, meine Damen! Hier ist alles monatelang vorbereitet
worden, die Räume sind angemietet, Unmengen Karten sind im
Vorverkauf bereits verkauft. Wir sind Verträge mit den
Puppenspielern eingegangen, und die haben bereits Hotels und
Pensionen gemietet.«
»Das können
doch keine Argumente sein, es geht hier um Pietät!«,
kontert die Frau mit dem runden Gesicht.
»Wenn wir das
Festival absagen, gerät der Förderverein in ein
finanzielles Desaster. Wir müssen bedenken, dass wir mit den
Schulden, die wir durch so einen unüberlegten Schritt
verursachen würden, alle weiteren Pole-Poppenspäler-Tage
in der Zukunft gefährden.«
»Es kann bei
dieser Entscheidung nicht um rein finanzielle Gründe gehen,
zumindest nicht in erster Linie«, stoppt Frieda Meibaum die
aufkommenden Unstimmigkeiten. »Wir haben drei
langjährige Freundinnen und Mitarbeiterinnen unter furchtbaren
Umständen verloren. Wir trauern um Hanna Lechner, Ronja
Ahrendt und Petra Ørsted, drei wundervolle Frauen, die ich
persönlich lange Jahre kenne, unsere zweite Vorsitzende Hanna
bereits über 19 Jahre. Mit Hanna habe ich gemeinsam die
Pole-Poppenspäler-Tage ins Leben gerufen und zu dem gemacht,
was sie heute sind. Wir sollten ihrer gedenken, indem wir das
Festival weitergehen lassen. Soweit ich Hanna kenne, wäre sie
die Erste gewesen, die sich das gewünscht
hätte.«
Die Journalistin
sieht, wie die Lippen der Rednerin beben, erfasst, welche
Anstrengung ihr das Sprechen macht. Im selben Moment gerät sie
in das Blickfeld von Frieda Meibaum.
»Frau
Teske!«, unterbricht die Vorsitzende abrupt und schaut die
Journalistin wie einen Fremdkörper an. »Darf ich fragen,
was Sie hier zu suchen haben? Was hier besprochen wird, ist nicht
für die Ohren der Presse bestimmt!«
»Ich bin auch
nur privat hier, Frau Meibaum«, versucht Maria Teske, der
Vorsitzenden den Argwohn zu nehmen. »Ich bin nur hergekommen,
um Sie über das schreckliche Ereignis zu informieren. Ich
wusste nicht, dass Sie bereits Bescheid wissen.«
»Danke, wir sind
informiert!« Frieda Meibaums Stimme verrät deutlichen
Zweifel an den Worten der Journalistin. »Außerdem finde
ich Ihr Hiersein sehr unpassend, Frau Teske!«
»Entschuldigen
Sie, das war nicht meine Absicht! Selbstverständlich wird
alles, was ich gehört habe, von mir vertraulich behandelt, und
ich möchte allen hier mein tiefstes Beileid
aussprechen.«
»Würden Sie
uns jetzt verlassen!«
»Das hatte ich
sowieso gerade vor. Ich entschuldige mich noch einmal bei
allen«, sagt Maria Teske in devotem Tonfall, raunt Susan
Biehl noch »Ich warte auf Sie im Tine-Café am
Hafen!« zu und verlässt den Raum.
*
Obwohl Jan Swensen die
ganze Nacht kein Auge zugemacht hat, fühlt er sich
verhältnismäßig fit. Er beschließt, kurz die
Ermittlung zu unterbrechen, fährt auf einen Sprung in seine
Wohnung, nimmt schnell eine Dusche und zieht frische Kleidung an.
Den Gedanken, noch eine 20-minütige
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