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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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beim Radiohören abschreiben. Ich verstand aber die Worte noch nicht, sondern buchstabierte phonetisch, lernte alles auswendig und sang dann Niila in der Garage Songs wie Ohlju niedis lav und Äweiter schäd ofpehl vor.
    Niila war schwer beeindruckt. Wer hatte mir Englisch beigebracht?
    »Ich selbst«, erklärte ich locker.
    Niila dachte eine Weile darüber nach. Im nächsten Moment traf er einen verwegenen Beschluss: Er wollte Gitarre spielen lernen.
    Es gelang ihm, von einem Onkel eine akustische Gitarre zu leihen, die dieser auf einer Ferienreise nach Bulgarien gekauft hatte. Anschließend folgte eine hektische Zeit, in der Anfängernoten in einem Musikgeschäft in Lulea angeschafft wurden, die Einführung in die geheimnisvolle Kunst des Stimmens, steife, kurze Jungsfinger, Ziffern und Punkte, die zu Tönen werden sollten, es aber einfach nicht wurden, weitere Einblicke in die geheimnisvolle Kunst des Stimmens, das kulturfeindliche Klima in Niilas Elternhaus, das ihn dazu zwang, in unserer Garage zu üben, bis die Winterkälte kam und wir in unseren Heizkesselkeller umzogen, wo wir Watte unter die Saiten legten, damit unsere Eltern nichts hörten und nicht petzen konnten, der erste Akkord, der e-Moll war und klang, als würde jemand auf einem Well-dach hüpfen, der zweite, a-Moll, der klang, als würde das Hüpfen jetzt von zwei Personen ausgeführt, mein Gesang zu Niilas Begleitung mit so ewigkeitslangen Pausen beim Akkordwechsel, dass ich keine Puste mehr hatte, sein vollkommener Mangel an Humor in diesem Zusammenhang, der mehr als einmal zu Handgreiflichkeiten führte, mein vollkommenes Unvermögen, den Titel des ersten Stücks zu erraten, das Niila sich selbst beigebracht hatte, obwohl ich acht Versuche hatte und meine anschließende heldenhafte Rettung der Gitarre in einem Sprung, bevor sie auf dem Zementboden zerschmettert gewesen wäre.
    Das Peinliche war, dass ich mir selbst das Gitarrenspiel im Bruchteil der Zeit beibrachte. Meine Finger sind lang und gespreizt, das ist ein Familienerbe. Die Hand fühlte sich wie eine Spinne am Gitarrenhals zu Hause, sie kletterte auf und ab und webte die Akkorde mit einer Leichtigkeit, die mich selbst verblüffte. Als Niila seinen ersten reinen Akkord schlagen konnte, hatte ich mir House of the rising sun beigebracht und mir auf Umwegen ein Buch über den klingenden Dschungel des Barre-Akkords organisiert. Niila ließ seine Gitarre immer im Keller zurück, und sobald ich ihn nach Hause verschwinden sah, konnte ich loslegen.
    Natürlich konnte ich Niila nie meine Fähigkeiten präsentieren. Das hätte ihn zerbrochen. Schon damals in dem zarten Alter begann er Zeichen seiner nachtschwarzen, selbstzerstörerischen Depressionen zu zeigen. Dann wiederum war er überzeugt davon, der Beste von allen zu sein, vollkommen taub dafür, wie schräg es klang, aufgeblasen, protzig und überzeugt von seiner zukünftigen Berühmtheit. Ich tat ab und zu so, als probierte ich die Gitarre mal aus und spielte absichtlich falsch, sah ihn dann so energisch durch die Nase schnauben, dass der Rotz mit rauskam. Okay, in solchen Momenten war ich kurz davor, mein Geheimnis zu lüften, auch meine Geduld hatte ihre Grenzen. Aber mit großer Kraftanstrengung gelang es mir, mich zurückzuhalten.
    Jetzt auf der Mittelstufe begann eine Hand voll der Jungs aus unserer Klasse mit Snus. Plötzlich zeichneten sich runde Dosen unter den Jeans ab, und in den Pausen verbreitete sich ein starker, typischer Teegeruch. Da die Jungs es überhaupt nicht gewohnt waren, wurden sie berauscht und bekamen große Pupillen. Sie fingen an, in ihrer Ecke herumzupöbeln, schwärmten dann auf den Flur aus und versuchten das Interesse der Mädchen zu wecken, indem sie sie Fotzen und Huren nannten. Nach den Sportstunden standen die Jungs unter der Dusche und zogen voreinander die Vorhaut hoch. Sie erzählten großprotzige Geschichten über welche, die schon gebumst hatten. Wir Jungs, die später entwickelt waren oder einfach nur schüchterner, schauten erschrocken zu. Die Veränderung kam so plötzlich. Die gleichen alten Kumpel waren jetzt von Snus und Hormonen aufgeputscht. Ungefähr wie Junkies, streitsüchtig, unberechenbar. Instinktiv zogen wir uns zurück.
    Je mehr Tabak sie sich unter die Lippe schoben, umso ekliger fanden die Mädchen sie. Den Snus zwischen den Zähnen, tabaksbraune Fingerspitzen, klebrige Spuckflecken an den Wänden und im Waschbecken. Während des Unterrichts war der Snus verboten, aber darum scherten

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