Populaermusik Aus Vittula
alle sich nach hinten zurücklehnten und die kalte Speerspitze tief ins Fleischloch der Kehle kippen ließen. Ein Raunen ging durch die Gesellschaft, und die Plappermäuler unter den Männern sagten Amen. Die Frau mit der Flasche machte eine weitere Runde. Die Brautmutter drohte wütend mit ihrer Bassstimme, dass das ja wohl typisch sei, dass ausgerechnet ihre Tochter sich einen aus der beim Essen wählerischsten Familie auf der ganzen finnischsprechenden Erdmasse aussuchen musste und dass das Essen nun mal mit dem Maul gegessen werde, wenn das vielleicht jemand noch nicht begriffen habe, woraufhin die Küchenhilfen neue dampfende Fleischtöpfe und Knochenmarkplatten heranschleppten, und alle noch eine Portion nahmen.
Die Männer prosteten sich ein zweites Mal zu und die Frauen auch, abgesehen von denen, die Auto fahren mussten. Mir gegenüber saß eine umwerfend schöne Finnin aus der Kolarige-gend. Sie hatte braune, fast arabische Augen und rabenschwarzes Haar, sicher stammte sie aus einer Samenfamilie, trug sie doch eine große Silberbrosche am Halskragen. Sie lächelte mit spitzen, weißen Zähnen und schob ihr halb gefülltes Schnapsglas zu mir rüber. Kein Wort, nur ein verwegener, offener Blick, als drohe sie mir. Alle Männer bremsten ihre schwappenden Suppenlöffel. Im Augenwinkel sah ich, wie Vater warnen wollte, aber da hatte ich das Glas bereits zwischen den Fingern. Die Fingerspitzen der Frau strichen leicht wie ein Schmetterling über die Innenseite meines Handgelenks, das war so schön, dass ich fast den Schnaps verschüttet hätte.
Und endlich fingen die Männer an zu reden. Zum ersten Mal an diesem Tag begann etwas, das einer Konversation ähnelte. Das war wohl der Schnaps, der den gefrorenen Boden in den Zungen zum Schmelzen brachte, und das Erste, was diskutiert wurde, war, ob der arme Junge jetzt den Schnaps über die Tischdecke spucken oder husten würde, so schmächtig und zart, wie er aussah. Mein Vater wollte aufstehen und mich aufhalten, trotz der erwartungsvollen Blicke seiner Brüder, und ich wusste, dass ich mich beeilen musste.
Schnell warf ich den Kopf nach hinten und kippte alles in mich hinein, ungefähr wie Medizin. Und es fuhr in den Körper wie ein Pissestrahl in den Schnee, und die Männer lachten. Ich hustete nicht einmal, spürte nur ein schmelzendes Feuer im Magen und eine Lust, mich zu erbrechen, die äußerlich nicht zu erkennen war. Und mein Vater sah böse aus, musste aber einsehen, dass es zu spät war, während seine Brüder erklärten, dass der Junge ja schließlich mit ihnen verwandt sei. Dann prahlten sie über die ungemeine Schnapsresistenz unserer Familie, was anschließend mit mehreren ausführlichen Berichten und Geschichten belegt wurde. Als das Thema erschöpfend behandelt war, was aber erst nach langer Zeit der Fall war, kam die Rede auf die unfassbare Saunaresistenz unserer Familie, was ebenso gründlich belegt wurde wie das vorherige Thema. Einer der Männer wurde rausgeschickt, um die Dampfsauna auf dem Hof ordentlich anzuheizen, und man diskutierte verwundert untereinander, warum eigentlich niemand schon vorher auf eine derart selbstverständliche Sache gekommen war. Anschließend kam das Gespräch auf die unglaubliche Fähigkeit unserer Familie für harte, physische Arbeit, die beidseits der Grenze berühmt war, und um zu beweisen, dass man nicht aufschnitt oder übertrieb, wurde eine ansehnliche Anzahl von Geschichten wiedergegeben, die über uns in den Hütten erzählt wurden.
Die Familie der Braut begann allmählich Zeichen einer leichten Ungeduld zu zeigen. Besonders einige der kräftiger gewachsenen Männer hatten offensichtlich Ambitionen, ihr Zungenband zu lösen. Schließlich öffnete der Redegewandteste seinen Schnabel zum ersten Mal an diesem Abend in anderer Absicht, als zu essen. Er hielt einen überraschend spöttischen Vortrag über Familien, die meinen, sie wären etwas Besonderes, und die ihre Mäuler im öffentlichen Rahmen ganz unnötig aufreißen. Vater und seine Brüder ließen diesen Einwand links liegen und vertieften sich stattdessen in die Geschichte, wie ein Urahn einen Fünfzigkilo-Mehlsack plus ein Eisenspeer und seine gichtgebeugte Frau vierzig Kilometer weit auf dem Rücken getragen hatte, ohne sein Gepäck auch nur bei den Pinkelpausen abzulegen.
Die Küchenhelferinnen kamen jetzt mit Riesenplatten voller selbst gebackener Leckereien. Da waren Weizenwecken, weich wie Mädchenwangen, knusprige Kuchen aus Kangos, saftiges
Weitere Kostenlose Bücher